Heul doch!

Der Wolf in Brandenburg
Heul doch

Reportage von Boris Messing

Der Wolf wühlt die Gemüter auf. In Brandenburg, dem Bundesland mit den meisten Wolfsrudeln und Nutztierrissen, zanken sich Landwirte und Naturschützer um den Umgang mit dem Raubtier. Dabei wirft der Wolf ein Licht auf ein alt-neues Problem: die Vernachlässigung der Weidetierhalter. Ein Blick auf einen, nun ja, verbissen geführten Streit.

Morgens um halb neun, ein grauer Tag im Januar, 30 Kilometer östlich von Berlin. Ein trüber Nieselregen fällt auf die durchgeweichten Felder, als der Schäfer Knut Kucznik sich mit seinem Bus aufmacht, um seine Schafsherde und Hunde zu versorgen.

Kucznik, 52, Dreitagebart und eine Feldmütze auf dem Kopf, schaut mürrisch auf die Landschaft, die sich rechts und links ins fahle Nirgendwo erstreckt. Anfangs gibt er sich noch wortkarg. Doch als er schließlich spricht, kommt es wie aus der Pistole aus ihm geschossen. Er beschwört die Notwendigkeit des Herdenschutzes und erklärt, dass der Wolf nicht nur die Landwirte und Naturschützer, sondern auch die Schäfer unter sich gespalten habe.

Nach 15 Minuten erreicht er die Weide. „Die Herde ist nicht an ihrem Platz“, sagt er und reißt die Augen auf. Der Wolf? Fehlalarm, sein neuer Mitarbeiter hat den Zaun an einem Ende nicht richtig festgemacht. So, sagt Kucznik, sähe es aber aus, wenn der Wolf die Schafe risse – eine verwirrte Herde und totgebissene, halb aufgefressene Tiere ringsherum. Kein schöner Anblick. Viele Kollegen hätte es schon erwischt. Marc Mennle beispielsweise oben aus der Prignitz, dem hätten die Wölfe im vergangenen Sommer an zwei Tagen hintereinander Schafe gerissen. Weil, so Kucznik, Mennle sich nicht genug um seine Herde gekümmert hätte. Die Weide sei zur Deichseite hin offen gewesen, und nach dem ersten Riss hätte Mennle nichts unternommen, um die Lage zu verbessern. Kucznik bemüht sogar die Bibel, um seinen Vorwurf zu bekräftigen: „Der jute Hirte stirbt für sein Vieh; der Mietling allerdings verlässt die Herde im Angesicht des Wolfes.“ Ein Mietling - das sind für Kucznik Leute, die nur fürs Geld arbeiten, keine wirklichen Hirten. Auf der anderen Seite kann er Mennle auch verstehen. Der Frust ist groß. Dessen acht Herdenschutzhunde kosten ihn 2500 Euro jährlich – pro Hund. Der Wolf „hat das Fass zum Überlaufen gebracht“, die Schäfer seien „am Sterben“, Azubis fänden sich kaum noch. Und dennoch: einfach zuzusehen wie der Wolf die Schafe reißt und darauf zu spekulieren, dass die Stimmung kippt, hält er für den falschen Weg. „Die Welt ändert sich eben“, sagt Kucznik. Nach vorne schauen, nicht nach hinten - das ist sein Credo.

Gelassen misst er den Strom am Zaun und füttert seine zotteligen weißen Herdenschutzhunde. Schafe hüte er schon seit seiner Kindheit, oft hätte er die Schule geschwänzt, um auf der Weide sein zu können. „Ick bin een total wertvoller Typ“, sagt er und grinst spitzbübisch. Schafe sorgten für Biodiversität, für die Erhaltung von Insekten, Pflanzen, Arten – ein jahrtausendealtes, fein abgestimmtes System.
Portrait of Gray wolf (Canis lupus) in a desert
European Gray Wolf, Canis lupus lupus, Female with Pup, Germany
EuropŠischer Wolf, Canis lupus, European wolf, Deutschland, Germany,
Die EU-Länder müssten Millionenstrafen zahlen, wenn Weideflächen nicht von den Schafen abgegrast würden. Kucznik ist ein gefragter Mann. Alle waren sie schon bei ihm: RBB, ZDF, Zeitungen aus dem ganzen Land.

Vor zwei Jahren bekam er vom ehemaligen Landwirtschaftsminister Christian Schmidt die Goldmedaille für hervorragende züchterische Leistung überreicht. Arte wird bald eine Doku mit ihm über das Hirtentum Europas drehen. Ja, selbst das usbekische Fernsehen interessiert sich für ihn. Den Stolz darüber kann er kaum verbergen, er sieht sich als einen Mann der Tat. Neben Rindern und Schafen züchtet er nun seit 15 Jahren auch Herdenschutzhunde aus den Pyrenäen. Zum Wolf hat er eine klare Meinung: „Wir müssen lernen mit ihm zu leben.“ Es nütze nichts, zu jammern und zu zetern, der Wolf sei da, seine Anwesenheit erwünscht, nun gälte es zu handeln. Aber alles hätte seinen Preis – darüber müsse sich die Gesellschaft im Klaren sein.

Alle paar Monate sitzen die verschiedenen Interessengruppen im Brandenburger Umweltministerium und diskutieren über den Wolf. Oft schrien sie sich gegenseitig an, sagt Frank Reichel, der Leiter des Wolfsmanagements von Brandenburg. Die Naturschutzverbände sehen einen günstigen Erhaltungszustand des Wolfs noch nicht gegeben, die Landwirte klagen über vermehrte Risse. Besonders der Bauernbund macht Furore und fordert „wolfsfreie Zonen“, obwohl das mit gängigem Recht nicht zu vereinbaren ist.

Laut Bundesnaturschutzgesetz genießt der Wolf den höchsten Schutzstatus. Dennoch kann er unter gewissen Umständen geschossen werden. Seit Februar 2018 gibt es hierfür eine Wolfsverordnung in Brandenburg, die regelt, wie mit einem Problemwolf umgegangen werden muss. Bezogen auf die Nutztiere besagt die Verordnung, dass ein Wolf geschossen werden darf, wenn er nachweislich den vorgeschriebenen Mindestschutz (Elektrozaun und Herdenschutzhunde) zwei Mal überwunden hat. Betroffen sind zum Großteil Schafsherden. Wird der Wolf als Täter identifiziert, werden die Risse entschädigt.

Im Jahr 2017 gab es 325 Schafsrisse in Brandenburg. Das Jahr 2018 wird diese Zahl wahrscheinlich übertreffen. Geschossen wurde aber noch kein einziger Wolf. Eine „Beruhigungspille“ nennt Tino Erstling vom Landesbauernverband die Wolfsverordnung. Und Reinhard Jung vom kleineren und radikaleren Bauernbund hält die Rissgutachten gar für „erstunken und erlogen“, der Wolf hätte schon sehr viel mehr gerissen als offiziell begutachtet. Er will den Wolf zurückdrängen. Kucznik, der für den Schafzuchtverband in diesen Gesprächsrunden sitzt, hält nichts vom „populistischen Gerülpse“ des Bauernbunds. Mit einer aggressiven Anti-Haltung käme man nicht voran. Für mehr Gelder müsse man kämpfen. Und damit Punkt.

Im November 2018 beschloss die EU immerhin, Präventionsmaßnahmen für den Herdenschutz zu 100 Prozent zu übernehmen. Über Zahlungen der laufenden Kosten wird gerade noch verhandelt. Denn der Druck, zu handeln, wächst.

Und bis dahin heult jeder sein eigenes Lied über den Wolf.

Text: Boris Messing
Fotos: Bildagentur Zoonar (Prowibild, Don Mammoser, Raimund Linke, Michael Breuer, Radoijca Eichert, J. Pinkawa)

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