Mit dem Trabbi durch Rügen...

Eine Tagestrip der besonderen Art
Mit dem Trabbi durch Rügen...
Eine Tagestrip der besonderen Art

Es gibt ausgefallene Möglichkeiten Rügen zu entdecken, per Helikopter, per Körperkontakt durch Kreideanwendungen. Heute steht eine Fahrt in einem Trabant, Baujahr 1989 an. Dummerweise ist mein Führerschein in Berlin geblieben, aber ein Freund von mir hat gerade auf Rügen zu tun. Er verwaltet in Saßnitz ein Haus und wirft seine Terminplanung spontan über den Haufen, als er per Handy von der einmaligen Chance erfährt. Wir werden von einem Fachmann in Blau eingewiesen. Er erklärt die Revolvergriff-Schaltung. Ohne Gas rollen lassen ist nur im 4. Gang möglich, bei allen anderen Gängen entweder Gaspedal oder Kupplung treten, sonst ruckelt´s. Auf gute 250 km schätzt er unsere Reichweite. Dann geht es los, mit 26 PS und der Geräuschkulisse eines überdimensionierten Staubsaugers.

Von Fahrrad-Familien auf den Seitenwegen fangen wir uns erste fragende Blicke ein. Kaum zu glauben, dass ganze Familien damit bis nach Ungarn gefahren sind. Die Anmerkung meines Freundes Manfred ist im wahrsten Sinne des Wortes rückblickend. Damit wir vorne unsere Beine auch nur einigermaßen bewegen können, geht die Beinfreiheit hinten gegen Null. Wir passieren Rahlswiek. Hier wird vor Meeresblick und Stadtkulisse des mittelalterlichen Wismar dem Che Guevara der Nord- und Ostsee gedacht. Nach der Brandschatzung des elterlichen Gutes gerät der junge Klaus von Alkun alias Klaus Störtebeker auf die schiefe maritime Bahn. Schiffe segeln heran und wieder von dannen. Über 120 Schauspieler und Statisten liefern gut gemachte Galopp- und Schwertszenen ab, verproviantieren mit Liebe, Schmerz und Tod Gefühlshaushalte von 8 bis 80. Wir bleiben auf Kurs, rattern über die Dörfer. Sobald man das Gas wegnimmt, ruckelt das Teil wie ein wild gewordenes Pferd. Es gibt nur Trommelbremsen, die viel Tretkraft erfordern. Die Lenkung ist schwergängig. Mein Freund versucht sich am Lichtschalter und hat diesen auf einmal in der Hand. Aber ansonsten geht alles wunder bar. Die Strassen und Plätze sind leer. Einmal macht eine Frau die Cheerleaderin und winkt uns bei der Gartenarbeit zu.

(..) Text an dieser Stelle gekürzt, liegt komplett vor!

„Euch kann man riechen“ meint die Ticketverkäuferin, als wir das Gefährt an ihrem Häuschen vorbei auf die Fähre schieben. Nun sitzen wir fest im Schaukasten der automobilen Rangordnung, eingekeilt zwischen Familienkombis und Cabrios mit schneidig blickenden Silveragern samt deutlich jüngeren Beifahrerinnen.
Geholfen hat uns beim Schieben keiner. Die Silverager würdigen uns gar keines Blickes, die Kinder in den Kombis stellen im Auto ein paar soziale Fragen und bewirken immerhin Viertelumdrehungen der elterlichen Köpfe. Irgendwie fühlen wir uns deklassiert und sind verärgert, aber die Vergeltung naht. Direkt neben der Anlegestelle ist ein kleines Cafe. Einige Fährgäste kehren dort ein, machen es sich an den Tischen im Hof bequem. Wir schieben das Teil so nah es geht an den Zaun heran und versuchen, es wieder in Gang zu bringen. Ich bin zwar nicht der Fahrer aber dafür mit einem Mix aus Choke- und Pedalrhythmus klar der bessere Trabi-Flüsterer. Ein gewaltiger Donnerhall zeugt davon, dass das Gasgemisch in Auspuff noch vom Zündvorgang eingeholt wurde. Die anschließende Wolke zieht schön in das Cafe herüber. Mit fliegendem Wechsel vom Fahrer zum Beifahrersitz und ein paar weiteren Knalleinlagen verabschieden wir uns vom Spalier der gestrengen Blicke. Es folgen wunderschöne Ausblicke auf den Breegher Bodden. Es sind Geschenke, die wir gerade in unserem Fahrzeug umso mehr zu schätzen wissen. Es ist merkwürdig, man bekommt ein neues Verhältnis zur Mobilität, man spürt den Wert eines jeden zurück gelegten Kilometers. Es gibt auch eine eingebaute Geschwindigkeitsbeschränkung, bei mehr als 70 km/h wird es so laut, dass der Spaßfaktor schwindet. Dagegen wirken wir auf andere Verkehrsteilnehmer ungemein beschleunigend. Wir werden gern überholt, leider auch in geschlossenen Ortschaften, der Treibstoff macht es wohl. An die Revolvergriff-Schaltung kann man sich gewöhnen. Sie ist vergleichsweise leichtgängig. Den Griff aus dem kahlen Armaturenbrett herausziehen und in die gewünschte Gangrichtung anstubsen, das reicht schon.

(..) Text an dieser Stelle gekürzt, liegt komplett vor!

Im Schnitt einmal pro Woche geht das Teil auf Fahrt weiß Marketing Chefin Heikle Seelenbinder zu berichten. „Es sind beileibe nicht nur Wessis, die gerne mal ein Stück-DDR Nostalgie im wahrsten Sinne des Wortes erfahren wollen. Es sind auch Ossis die ihn immer wieder mal gerne fahren. Obwohl das Auto nicht gerade lecker riecht, ruft der Geruch alleine schon viele eigene Urlaubserinnerungen hervor. Gerade hier an der Ostsee. Auch wenn man es nicht mehr begreifen kann, auf so ein Teil mussten die DDR Bürger 10 Jahre und mehr warten und dann so ein Ding zu haben, eigene Mobilität überhaupt zu haben, war schon ein bescheidenes Glück für sich“.

Wir werden diesen Tagestrip mit Sicherheit so schnell nicht vergessen.


Text und Fotos: Michael Lösch
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