Auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft

Auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft
Der stille Strukturwandel der deutschen Wirtschaft

EXPOSÉ

Ein immer größerer Teil unserer Wertschöpfung wird durch Dienstleistungen erzeugt. Zu Letzt waren gut 80 Prozent aller deutschen Unternehmen im Dienstleistungsbereich tätig. Der "Tertiäre Sektor" ist dabei sehr vielschichtig. Die Jobs reichen vom Einzelhändler bis zum Fitnesstrainer, vom Logistiker bis zum Social, Media Manager. Dienstleistungsbranchen schaffen mittlerweile fast drei Viertel aller Arbeitsplätze in Deutschland und sie wachsen am stärksten. Ein stiller, stetiger aber zugleich revolutionärer Strukturwandel. Waren wir doch einst ein Industrieland. Warum wächst die Dienstleistungsbranche immer weiter und welche Bedeutung hat dieser Wandel?

Der Standort Deutschland ist ohne Dienstleistungen kaum noch denkbar. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Güterproduktion mit zahlreichen Dienstleistungen einhergeht. Und zum anderen damit, dass wir uns immer mehr Dienstleistungen leisten können. Finanziell und zeitlich. Wo ein modernes Industrieprodukt die Produktionsstätte verlässt, hat eine lange Reihe von Dienstleistungen zu seiner Entstehung beigetragen. Angefangen bei der Logistik in der Zulieferung über die Wartung der Produktionsmittel bis zur Softwareunterstützung. Im Absatz kommen dann weitere Leistungen hinzu. Beispielsweise Marketing, Finanzierung, Logistik und Reparatur. Oft werden diese Leistungen von externen Unternehmen ausgeführt. Sie werden daher statistisch nicht mehr dem Produktionsbetrieb zugeordnet. Wenn Leiharbeiter zum Einsatz kommen, werden selbst Menschen, die direkt in der Produktion arbeiten, dem tertiären Sektor zugerechnet.

Doch mit Outsourcing, Logistik, Bürokratie, Internet und Leiharbeit alleine lässt sich das Wachstum des Dienstleistungssektors nicht erklären. Immerhin reden wir hier beinahe von einer Verdoppelung der Arbeitsplätze in den letzten 50 Jahren! Von 38% im Jahr 1960 auf 73,8% im Jahr 2010. Da es sich hierbei um Prozentangaben handelt, sind die anderen beiden Wirtschaftssektoren entsprechend geschrumpft. Im primären Sektor (Landwirtschaft und Urerzeugung) gibt es heute nur noch etwa 1,5% aller Arbeitsplätze und im Industriesektor (Sekundärer Sektor: Produktion, Industrie) sind es noch etwa 24,6%. Der Rest: Alles Dienstleister.

Massieren wir uns also bald alle gegenseitig die Rücken und keiner stellt mehr etwas echtes "zum anfassen" her?

In einer längerfristigen Perspektive betrachtet, gibt es für das Wachstum des Dienstleistungssektors erstaunliche Ursachen. Sie lauten: Produktivität, Einkommen, Lebensalter und Freizeit. Jede in Anspruch genommene Dienstleistung muss man sich zunächst einmal leisten können. Dies gilt für die Marketingagentur genauso wie für das Fitnessstudio. Und mit „leisten“ sind nicht nur finanzielle Mittel gemeint. Auch die Zeit spielt eine große Rolle. Würden wir noch sechs bis sieben Tage die Woche arbeiten, könnten wir uns weder mit Netflix noch mit Sport beschäftigen. Keine Zeit! Würden wir immer noch mit 48 Jahren sterben (durchschnittliche Lebenserwartung der Männer um 1920) hätten wir ebenfalls weniger Zeit für Freizeitaktivitäten. Naja und zu Letzt müssen die ganzen Dienstleistungen natürlich auch noch bezahlt werden. Oder umgekehrt formuliert: Das Wachstum der Dienstleistungen resultiert auch daraus, dass wir mehr Kaufkraft, mehr Zeit und eine höhere Lebenserwartung haben!

Doch warum haben wir mehr Geld als unsere Eltern oder Großeltern? Hier kommt der Faktor Produktivität ins Spiel. Er ist der wichtigste Treiber in Sachen Dienstleistungsgesellschaft…

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Text: Diplom-Volkswirt Michael Krabs
Fotos: Bildagentur Zoonar (Ironjohn, Stefan Ernst, Dolgachov, maxxyustas)

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