Der Irrwisch – Täuschung in Perfektion

Wanzen sind keine Parasiten, sondern raffinierte Überlebenskünstler!
Der Irrwisch – Täuschung in Perfektion

Wanzen sind keine Parasiten, sondern faszinierende Überlebenskünstler! Und der Irrwisch ist besonders raffiniert...

Wanzen kommen bei uns in nahezu allen Lebensräumen vor, können auffällig bunt gefärbt oder in Form und Farbe so perfekt ihrer Umgebung angepasst sein, dass sie kaum zu entdecken sind. Doch kaum jemand kennt sie. Von Laien werden sie oft für Käfer gehalten, die allerdings – verwandtschaftlich gesehen - sehr weit von den Wanzen entfernt sind.


Wanzen habe keinen guten Ruf. Die meisten Menschen verbinden Wanzen mit den lästigen Parasiten, die zu nächtlicher Stunde den Menschen in seinem warmen Bett anfallen und Blut saugen. Doch wer hat schon einmal eine solche „Bettwanze“ gesehen? Wer ist gar von ihr gestochen worden?
 Heute kommen diese schmarotzenden Gesellen kaum noch vor. Der allgemeine Hygienestandard in unserer Gesellschaft ist zu hoch, als dass sich hier noch große Populationen wohl fühlen würden. Dennoch hält sich das schlechte Image der Bettwanze hartnäckig in den Köpfen der Menschen fest und greift über auf die mehr als 800 weiteren Wanzenarten, die bei uns vorkommen und teilweise äußerst interessante Lebensweisen haben.


Eine dieser Arten ist der Rotrückige Irrwisch. Er ist eine relativ häufig vorkommende heimische, 10-12 mm große Wanzenart und in Deutschland der einzige Vertreter der Familie der Krummfühlerwanzen. Er lebt bevorzugt in niedriger Vegetation und am Boden trocken-warmer Offenlandstandorte. Als flinker Läufer und guter Flieger flüchtet er rasch vor Feinden und ist deshalb häufig nur schwer zu entdecken. Verharrt der Irrwisch in der meist grünbraunen Vegetation, verschmilzt seine bräunlich-längliche Körperform gut getarnt mit den Strukturen seiner Umgebung.



Sein lateinischer Name ist Alydus calcaratus. Calcaratus kommt aus dem Lateinischen, heißt „gespornt“ und weist somit auf die dornigen Oberschenkel seiner Hinterbeine hin.
 Auffällig ist sein lustiger deutscher Name: Als Irrwisch wird ein Irrlicht bezeichnet, also etwas Unechtes, ein Trugbild, eine Täuschung oder gar eine Lüge. Nun stellt sich natürlich die Frage, wie der Rotrückige Irrwisch lügen kann, etwas Unechtes, eine Unwahrheit, darstellt. Das Trugbild liegt in seinem Äußeren, während er noch eine unvollkommene Larve ist. In dieser Daseinsphase ähnelt er nämlich täuschend echt einer Ameise - aber dazu später mehr.
Zum weiteren wird als Irrwisch ein sehr lebhafter Mensch bezeichnet.
Ist dieser deutsche Begriff also vielleicht sogar zusätzlich eine Anspielung auf seine äußerst agile Lebensweise? So genau weiß dies wohl niemand!
 Der seinem Namen voran gesetzte Zusatz "Rotrückiger" beschreibt die rot-orange Färbung seines Rückens, die sichtbar wird, sobald er zum Fliegen die Flügel hebt.


(..) Text an dieser Stelle gekürzt, liegt komplett vor!

Gerne leben Irrwische gesellig. Dann findet man bis zu fünf, sechs oder mehr Exemplare zusammen auf wenigen, nebeneinander stehenden Pflanzen. In diesen Gemeinschaften von Männchen und Weibchen kommt es immer wieder zu Kopulationen, bei denen die Tiere minutenlang möglichst regungslos verharren.
Wohin die Eier gelegt werden, ist unbekannt. Auch weiß man nicht, ob die Eier oder die frisch geschlüpften, jungen Larven überwintern.

Ab dem Frühjahr des Folgejahres sind die kleinen Larven zu finden, die ebenfalls an Pflanzen saugen. Sie entwickeln sich - ganz wanzentypisch - über fünf Larvenphasen (L1 bis L5) bis zum "fertigen" Irrwisch. Der Übergang ins jeweils folgende Larvenstadium findet mittels Häutung statt. 

Sehr interessant ist die äußere Erscheinung der Larven. Sie haben eine verblüffende Ähnlichkeit mit Ameisen der Gattung Formica, wozu beispielsweise auch die bekannten Waldameisen gehören. 

Eine solche äußere Nachahmung eines anderen Tieres bezeichnet die Biologie als Mimikry. Hierbei wird in der Regel ein Tier imitiert, das wehrhafter gegenüber Fressfeinden ist als der Nachahmer selbst - und hierin liegt die blendende, die täuschende Tätigkeit des kleinen Imitators, die ihm wohl den deutschen Namen "Irrwisch" eingebracht hat. Nur wenige spezialisierte Jäger erbeuten die im Allgemeinen sehr wehrhaften Ameisen, sodass sich die Irrwisch-Larve mittels ihrer Täuschung erfolgreich Fressfeinde vom Leibe hält.


Der kleine Blender beschränkt die Nachahmung aber nicht nur auf sein Aussehen, sondern er verhält sich auch wie eine Formica-Ameise. Er läuft wendig und schnell, teilweise ruckartig in der Vegetation und am Boden umher, die Umgebung immer wieder mit seinen Fühlern abtastend - eben wie eine Ameise! Nur der Rüssel und die etwas zu langen Antennen weisen darauf hin, dass dieses kleine Insekt keine Ameise, sondern eine Wanze ist.


Auch die Irrwisch-Larven saugen mit Vorliebe an Hülsenfrüchtlern, wie zum Beispiel an den Blüten des Kleinblütigen Steinklees (Melilotus indicus).

Nach Abschluss der fünften Larvenphase häutet sich die Irrwisch-Larve ein letztes Mal, und die nun voll entwickelte, reife Wanze ähnelt keiner Ameise mehr. Im Spätsommer endet die Täuschung und es schließt sich der Kreislauf der Irrwisch-Entwicklung.


Text und Fotos: Roland Günter

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