Warum zu viel »Bildung« auch schaden kann

Warum zu viel »Bildung« auch schaden kann – von frühkindlicher Förderung bis zum Humanroboter

Für die Politik ist Bildung einer der wichtigsten Schlüssel für Erfolg und Wohlstand in unserer Gesellschaft. Doch inzwischen zeigt sich, daß bei den ganzen Debatten um frühkindliche Bildung, lebenslanges Lernen, Pisa-Studien, Bologna-Prozessen, Bildungsprämien, Eliteuniversitäten, Wissenstransfers, G8-Gymnasien oder Gemeinschaftsschulen das »wahre« kreative Talent nur eine untergeordnete Rolle spielt.

»Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr«, dachte sich irgendwann einmal die Industrie und empfahl daher der Politik, sich mehr für frühkindliche Bildung einzusetzen. So sollen Kinder bereits im Kindergarten für Mathematik und Technik »gewonnen« werden, um dem Ingenieursmangel dauerhaft vorzubeugen.

Die konservativen Politiker begrüßen die Forderung nach mehr frühpädagogischen Projekten in den Disziplinen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (Abk.: MINT). Wenn es nach ihnen geht, dann kann es in Deutschland gar nicht genug Techniker, Ingenieure, Mechatroniker, Informatiker oder Maschinenbauingenieure geben – schließlich stellen diese das wichtige »Humankapital « für Wirtschaftswachstum.

Gut ausgebildete junge Menschen werden speziell in Maschinenbauhochburgen wie Baden-Württemberg zum bedeutendsten »Rohstoff« – das betonen Wirtschaftsexperten wie Ex-Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt oft und gern. Viel schneller als früher werden die Heranwachsenden im Web 2.0-Zeitalter auf Erfolgskurs »programmiert « – das fängt bereits als Erstklässler in der Schule »harmlos« mit Klassenarbeiten an und zieht sich über den Numerus Clausus bei der Studienplatzvergabe fort bis hin zum hohen Anforderungsprofil im Beruf.

Bildungsoptimierung ohne Atempause für die Kleinen

Das einstige Land der Dichter und Denker mutiert beim Thema Bildung immer mehr zur Experimentierwiese von Reformern, Optimierern und Zertifizierern. So wird munter die x-te Bildungsreform angeschoben und die x-te Bildungsoffensive gestartet, Didaktik- und Lernmethoden werden in endlosen Debatten durchgekaut oder »vielversprechende« Pädagogik- Konzepte unermüdlich optimiert. Nachhilfe zur Noten-Optimierung in Mathematik, Chemie oder Englisch sind begehrter denn je – der eigene Nachwuchs soll ja »fit« für die beruflichen Herausforderungen in Zeiten der Globalisierung gemacht werden.

Es ist enorm, was auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der deutschen Bildungslandschaft heute so alles einprasselt. Eltern, die sie selbst in der Freizeit pausenlos zu noch mehr Leistung – z.B. im Sportverein oder im Musikunterricht – antreiben, sorgen für zusätzliche Reizüberflutung und Belastungsspitzen.

Kaum auf der Welt, sollen unsere Kinder mit Bildung nur so vollgestopft werden, damit sie den »Anschluß « nicht verpassen bzw. damit sie später mal einen gut bezahlten Job in der Industrie finden. Der Preis, den der Nachwuchs in unserem Land für seinen Bildungseifer im Web 2.0-Zeitalter zahlt, ist jedoch hoch. In einer globalisierten Arbeitswelt, in der die Geschäftsabläufe streng reglementiert sind und scheinbar nur der funktionierende und genormte Humanroboter gefragt ist, bleibt kaum Zeit für das Ausleben der eigenen Kreativität. Selbstverwirklichung im Job ade – denn auch die meisten Weiterbildungsmaßnahmen dienen wohl kaum der persönlichen (sprachlichen) Entwicklung, sondern »nur« der Absatz- und Produktivitätssteigerung im Betrieb.

Bildung, die auf Verlustangst basiert

Das eigentliche Talent und Wohl der Kinder und Jugendlichen kommt in der derzeitigen Bildungspolitik viel zu kurz. Der aktuelle Dokumentarfilm »Alphabet « von Erwin Wagenhofer (»Let´s make money«, »We feed the World«) bringt es auf den Punkt: »Erschöpft, unzufrieden, verängstigt: Das Bildungssystem macht Kinder zu Verlierern - starke wie schwache Schüler.« Immer mehr Kinder zerbrechen an der Masse teilweise lebensferner Informationen, die in ihre kleinen Köpfe geschaufelt werden. Unter anderem wird in einem Experiment gezeigt, daß zweijährige Kinder noch 98 % ihrer Kreativität einsetzen, zehnjährige noch zirka 60 % und der Uni-Abgänger letztlich nur noch 2 % (!).

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Einfach erst einmal nur Kind sein dürfen

In einem aktuellen Interview mit der Wochenzeitung »Die ZEIT« hält der renommierte Pädagoge Salman Ansari ein Plädoyer gegen den naturwissenschaftlichen Frühförderwahn im Kindergarten. In seinem Buch »Rettet die Neugier« kritisiert Salman Ansari die »Bombardierung « von Kindergärten mit akademischen Elementen. »Die These, daß durch intensive Frühförderung die Fachkräfte von morgen gewonnen werden könnten, ist rein spekulativ«, sagte der 71-jährige der ZEIT. Ferner kritisiert er in dem Interview, daß die Kindergartenkinder von heute viel zu viel lernen müssen und man sie schon im Alter von fünf Jahren als potenzielle Schüler sehe und vorgegebene Lehrinhalte »abarbeiten « lasse. Die kindliche Neugier bleibt dabei weitestgehend auf der Strecke, und der natürliche Spieltrieb leider auch.

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In der Bildungslandschaft fehlt das Herz

Im Interview mit dem NATURSCHECK sprach sich der österreichische Gemeinwohl- Ökonomie-Experte Christian Felber für mehr Herzensbildung im herkömmlichen Bildungssystem aus. Wie steht es daher also mit der Einführung des Studiengangs »Sabbatical Management « als Gegenpol zum ermüdenden »Höher-Schneller- Weiter-Prinzip« in unserer Ellenbogengesellschaft? Wäre es nicht auch langsam Zeit, das Lernfach »Praktische Lebensführung « mit Lernelementen wie Kochen, Behördengang- Management oder Beziehungsarbeit im Ausbildungslehrplan zu verankern?

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Wissen über alternative Wirtschaftssysteme ist Macht

Ein sinnvolles Bildungsziel könnte darin liegen, sich frühzeitig mehr Wissen über alternative Wirtschaftssysteme anzueignen, die dem Gemeinwohl dienen. So lernt der wißbegierige Nachwuchs z.B. beim Gradido-Prinzip von Bernd Hückstädt eine ganze Menge über die Natur und das Leben selbst. Wer sich mit der natürlichen Ökonomie des Lebens beschäftigt, weiß mehr über Bionik und die Natur als Vorbild bei der Lösung von (technischen) Problemen – und wird den harmonischen Kreislauf der Natur zukünftig mehr schätzen als den Kreislauf des Geldes im kapitalorientierten Markt. Und auch wer die Postwachstumökonomie von Niko Paech mit seiner Kritik an der Wegwerf- und Konsumgesellschaft oder die Gemeinwohlökonomie von Christian Felber im Ansatz verstanden hat, darf sich darauf gerne etwas »einbilden«.

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Text und Fotos: Autor Andreas Scholz


Buchtipp:
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Webtipp:
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Wikipedia:
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BILDUNTERSCHRIFTEN:

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Musik (machen) ist Bildung, die stetig wächst und das Herz bereits von klein auf wärmt

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es muss ja nicht jeder gleich ein Vincent van Gogh werden - unbestritten ist die Tatsache, dass die Beschäftigung mit bildender Kunst schon in frühester Kindheit das kreative Talent fördert


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"Schwarz-Rot-Gold - der Pilz hat ja fast die Farben der Deutschlandfahne", freut sich ein aufgeweckter Junge. Ein Aufenthalt im Waldkindergarten fördert das wirkliche Erleben und die Phantasie mehr als jede virtuelle Natur-App auf dem Smartphone. Den Baumpilz kann ich riechen und fühlen - im Internet oder auf dem Smartphone geht das nicht!