Wilde Schönheiten

Wilde Schönheiten

Unkräuter – die Aschenputtel im Pflanzenreich


Unkräuter wurden und werden sie zum Teil auch heute noch genannt. Was ist dies doch für ein abfälliges Unwort! Die Bezeichnung Wildkräuter ist uns da schon wesentlich sympathischer! Viele Spaziergänger übersehen diese auch einfach, wenn sie durch Wald und Flur streifen. Kaum einer macht sich die Mühe, sie einmal von der Nähe aus zu betrachten. Denn erst dann sehen wir, dass diese sogenannten Unkräuter oder Wildkräuter in Wirklichkeit strahlende Prinzessinnen unter den Pflanzen sind.

Die meist unscheinbaren Wildkräuter treffen wir überall an. Sie gedeihen an Wegrändern, auf Wegen, in Getreidefeldern, in Gemüsebeeten und auch in unseren Rasenflächen. Ihre Blüten sind meist klein und unscheinbar. Dies gilt jedoch nicht für den Löwenzahn, der nicht zu übersehen ist auf unseren Wiesen und Weiden. Hier findet ihn auch fast jeder schön. Aber wehe, er blüht im eigenen Garten und Rasen. In diesem Fall sind Gänseblümchen, Löwenzahn und Konsorten ganz einfach nur lästige Unkräuter, die es mit Vehemenz zu bekämpfen gilt. Viele tun dies mit allen Mitteln und führen so einen immerwährenden und aussichtslosen Kampf gegen die Natur. Warum lassen wir diese bunten Farbtupfer denn nicht einfach in unseren Rasenflächen? So fördern wir nicht nur den ökologischen Wert des Gartens, sondern tun auch etwas für unser Auge. Denn es kann nicht sein, dass uns draußen auf den Fluren diese üppige gelbe Blütenpracht gefällt, sie uns im Garten aber stört!

Überhaupt kommen in unseren Äckern eine Vielzahl wunderschöner Wildkräuter vor. Einige dieser schönen Wilden sind: Kornblume, Kornrade, Sommer-Adonisröschen, Feldrittersporn, Ackerwachtelweizen und Wildes Stiefmütterchen.

Wildkräuter gedeihen auch an alten Mauern und an Steinhaufen. Mit ihren unzähligen Höhlungen und Spalten sind sie der ideale Standort für Wildkräuter, die an trockene und magere Böden angepasst sind. Verschiedene Hauswurzarten, Thymian, Mauerpfeffer, Leinkraut, Glockenblumen und noch viele andere Arten fühlen sich dort wohl. Viele von Ihnen haben zwar nur kleine und von weiten unscheinbar aussehende Blüten. Deren Schönheit eröffnet sich erst, wenn man sie aus der Nähe betrachtet.

Wer kennt schon noch die himmelblau blühende Wegwarte. Ihre Wurzeln wurden früher als Kaffee-Ersatz geerntet.

Auch Kriechender Günsel, Gewöhnliches Leinkraut und den Breitwegerich kennt heute kaum noch wer. Dabei ist letztere eine hochwirksame Heilpflanze. Junge Blätter zwischen den Fingern zerrieben helfen gegen Insektenstiche.

Eine der häufigsten Farben unserer Wildkräuter ist Rot und Blau. Diese gibt es in allen Farbtönungen. Doch dies hat seinen Grund. Verantwortlich dafür sind die Anthocyane. Diese haben eine besondere Eigenschaft. In Säuren färben sie sich rot und in Basen in blaue und violette Farbtöne.

Fast alle Wildkräuter sind übrigens auch wertvolle Heilpflanzen. Würde man eine Liste all dieser machen, wäre diese sehr lang. Dieses Gottesgeschenk wird von viel zu wenig Menschen genützt. Jede dieser Pflanzen stellt ein einzigartiges chemisches Labor dar, das man mit nichts vergleichen kann. Wenn man bedenkt, dass jeder Pflanze nur Boden, Wasser und Sonne zur Verfügung steht, ist es wie ein Wunder, dass sie äußerst komplexe Substanzen schaffen bzw. synthetisieren. Wir Menschen können dies mit all unseren modernen Labors nur in einem minimalem Ausmaß.


Kunst aus dem Wundergarten Natur

Eigentlich alle Pflanzen im Wundergarten der Natur – ob gärtnerische Züchtung oder „nur“ Ackerwildkräuter – haben durch ihrem aus Zweckmäßigkeit heraus geborenen organischen Aufbau eine höchst künstlerische Form. Jeder Maler und Bildhauer findet in diesem Formenkatalog der Natur Lehr- und Musterbeispiele. Bekanntestes Beispiel ist der barocke Akanthus Altar. Hier umrahmt eine Art Rankenbogen aus Blättern der Akanthuspflanze und anderen Schmuckelementen das Altarbild.

Wenn man Pflanzenteile näher betrachtet, stellt man mit Verblüffung fest, dass viele von ihnen eine große Ähnlichkeit mit kunstgewerblichen Gegenständen haben. G.Mattenklott beschreibt in seinem Vorwort zu den Pflanzenfotos in „Wundergarten Natur“ treffend. Schwärmerisch meint er: „Es ist wie ein Rausch, wie ein Wahnsinn, der uns überkommt. Die Freude droht uns zu vernichten, die Überfülle an Schönheit uns zu ersticken. Wer das nicht durchgemacht hat, wird niemals bildende Kunst begreifen. Wen niemals die köstlichen Biegungen der Grashalme, die wunderbare Unerbittlichkeit des Distelblattes, die herbe Jugendlichkeit sprießender Blattknospen in Entzücken versetzt haben, der weiß noch nichts von der Schönheit der Formen“.

Text & Fotos: Walter J. Pilsak