Die Natur als großes Rätselbuch

Die Natur gibt uns Rätsel über Rätsel auf. Allerdings stellen sich diese nur demjenigen, der mit wachen und interessierten Blicken durch Wald und Flur streift. Ob Spuren im Schnee, eine Vogelfeder im Moos oder Holzspäne am Grund eines Baumstammes! Immer stellt sich uns hier die gleiche Frage. Was geschah hier durch Wem und wann?

Das Kleid der Vögel

Richten Sie, lieber Leser bei einem Ihrer nächsten Spaziergänge Ihr Augenmerk einmal speziell auf Vogelfedern. Sie werden erstaunt sein, wie viel verschiedene man vor allem im Wald findet. Oft stellt sich uns die Frage, wurde der Vogel, dem diese Feder gehörte, von einem Greifvogel geschlagen oder verlor er sie in der Mauser!

Diese Federn dem vormaligen Besitzer zuzuordnen, ist ebenso nicht einfach. Stammt die Feder von einem Eichelhäher, so dass die karakteristische Blaustreifung darauf zu erkennen ist, tut man sich mit der Zuordnung noch relativ leicht. Schwieriger ist es schon bei den meisten anderen Vögeln, die keine so bemerkenswerte Färbung aufweisen. Hier kann man oft nur raten, wenn man nicht gerade über ornithologische Kenntnisse verfügt.

Federn sind übrigens ein Geniestreich der Schöpfung. Wenn man eine solche mit der Lupe betrachtet, sieht man, dass die einzelnen Strahlen wie mit winzigen Krallen untereinander verbunden sind. Dieses komplizierte Gebilde zerbricht selbst unter starker Belastung nicht.

Wenn die Bäume Seide tragen!

Manchmal sieht man am Wegesrand – meist außerhalb des Waldes – Bäume und Sträucher, die aussehen, als wären sie mit einer durchsichtigen Folie eingehüllt. Für diesen gespenstischen Anblick ist meist die Gespinstmotte verantwortlich, deren Raupen den Baum einspinnen und kahl fressen. Begonnen hat dieses Schauspiel schon im vergangenen Sommer, als die Motten ihre Gelege in die Rindenritzen legten. Jetzt, ein Jahr später fressen die knapp einen Zentimeter langen Raupen im Schutze des silbrigweißen Gespinstes den Baum ratzekahl. Doch diesem schadet diese Radikalkur nicht im geringsten. Er treibt beim nächsten mal wieder aus und ist grün wie zuvor.

Verborgene Schaumschläger

Wer von uns hat im Frühjahr auf den Wiesen nicht schon die kleinen Schaumklümpchen gesehen, die meist an den Stängeln des Wiesenschaumkrauts oder an anderen Pflanzen hängen. Sind sie nicht rätselhaft, diese wie Eisschnee aussehenden Klümpchen! Im Volksmund sagt man dazu auch Kuckucksspeichel. Doch mit diesem Vogel hat dieses Gebilde nichts im geringsten zu tun. Verursacher ist ein Insekt, nämlich die Larve der Wiesenschaumzikade. Diese saugen den Saft der Pflanze in solchen Mengen, so dass der größte Teil davon wieder unverdaut ausgeschieden wird. Nachdem diese Flüssigkeit noch mit Atemluft vollgepumpt und mit Eiweißstoffen stabilisiert wurde, entsteht ein schützendes Schaumnest in dem die Larve vor Feinden als auch vor Austrocknung geschützt ist.

Vogeleier und Nester

Ähnliches gilt für gefundene Vogeleier oder deren Überreste. Diese richtig einzuordnen ist gar nicht so einfach. Wer weiß schon, dass der Star, der meist in unserer Nähe brütet, einfärbig hellblaue oder grünlich-blaue Eier legt; die der Amsel glänzend bläulich-grün mit dichter brauner Zeichnung sind und die Singdrossel intensiv hellblaue Eier mit spärlichen schwarzbraunen Flecken legt! Eine ideale Tarnfarbe haben die Eier der Feldlerche. Diese sind mit ihrer bräunlichen oder grünlichen Grundfarbe und der gleichmäßigen olivbraunen Sprenkelung fast unsichtbar, wenn sie im Bodennest liegen.

Übrigens ist es auch spannend, die Nester der Vögel zu erraten, und zwar, wenn sich kein Vogel mehr darin befindet. Auf dem Boden brüten z.B. Lerche und Seeschwalbe. In Baumhöhlen brüten Meisen und Spechte. Die Mehrzahl der heimischen Vogelarten bauen jedoch Nester in Napfformen, wie z.B. die Finken. Wer sich für Vogelnester näher interessiert, der sollte sich einen kleinen einsteckbaren Führer zulegen.

Pustelausschlag oder Insektenwohnung!

Wenn wir entlang von Hecken wandern, sehen wir an den Blättern oft kleine runde oder linsenförmige Knöpfchen. Diese sogenannten Gallen sind rot, gelb oder auch braun. Man könnte meinen, die Blätter hätten einen Pustelausschlag. Doch dem ist nicht so. Jede dieser Gallen ist die Wohnstätte eines winzigen Insekt, das durch seinen Einstich in das Blatt die Wucherung ausgelöst hat. Auch Milben können diese Gallen auslösen. Die größte Vielfalt an Gallerregern lebt auf der Eiche. Es sind ca. 200 Arten, darunter an die 150 Gallwespenarten.

Daneben gibt es auch die Rosengallen. Sie sehen aus wie struppige Pflanzenwucherungen. Ausgangspunkt ist auch hier ein Einstich einer nur 5 Millimeter großen Rosengallwespe. Was sich dann daraus entwickelt, ist ein einzigartiges komplexes Ökosystem im Kleinen in dem mindestens sieben Insektenarten leben. Unter den Bewohner der sogenannten „Schlafäpfel“, wie diese Wucherungen auf den Schösslingen der Heckenrose auch genannt werden, befinden sich neben den eigentlichen Bewohnern auch „Hausbesetzer“, „Schmarotzer“ und „Räuber“.

Interessant sind auch Spaziergänge im Winter, nachdem es frisch geschneit hat. Zahlreiche Tierspuren geben uns dann gar manches Rätsel auf. Diese Geläufe, Fährten und Spuren, wie sie der Waidmann nennt, lassen sich mit Hilfe eines Bestimmungsbuches ebenfalls relativ leicht identifizieren. Sind Kinder mit dabei, kann man eine spannende Beschäftigung daraus machen.

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Text: Walter J. Pilsak
Fotos: Walter J. Pilsak / Bildagentur Zoonar (Pan Xunbin), Frank Hecker

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