Wenn Jungen sich selbst verletzen

Wenn Jungen sich selbst verletzen

Von Lukas Pohland

Ritzen das kann viele Gründe haben – ob es die Scheidung der Eltern, der Tod einer wichtigen Person, Liebeskummer oder Mobbing ist, schlimm ist es definitiv immer. Wenn man an das Ritzen denkt, glaubt man direkt, dass das doch nur Mädchen machen. Das stimmt so aber nicht, wissen Sozialwissenschaftler heute.

Jungen, die sich selbst verletzen, kämpfen häufig nicht nur mit ihren Problemen, sondern auch mit Ignoranz, denn aufgrund alter Klischees finden sie oft nicht den speziellen Beistand den sie benötigen.

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Selbst in Fachkreisen halten Ärzte und Therapeuten zu stark an Rollenklischees fest, weiß Sozialwissenschaftler Harry Friebel. „Noch immer gilt vor allem in Deutschland die irrige Annahme: Jungen verletzen sich nicht selbst, sondern andere.“, sagt er. Friebel versucht bereits seit mehreren Jahren, in Fachkreisen auf das Thema aufmerksam zu machen. „Wenn er sich ritzt, ist er kein Junge mehr“, heißt es häufig in der Bevölkerung. Außerdem leiden selbst die betroffenen Jungen unter den gängigen Rollenvorstellungen und glauben teils selbst, dass sie durch ihr Verhalten kein Junge mehr sind.

Keine Einzelfälle

Im Durchschnitt gibt es zwei bis drei männliche Schüler in einer 10. Klassen die sich schon mindestens drei Mal selbst verletzt haben. Das hat eine Befragung der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Heidelberg im Jahr 2011 ergeben. Hierbei wurden 1.400 Oberschüler befragt und jeder zwölfte Junge berichtete, dass er sich in seinem Leben schon mindestens 3 Mal selbst verletzt hat. Unter dem Begriff „Selbstverletzung“ versteht man Schnittwunden, Verbrennungen, Verletzungen wegen Schläge gegen feste Gegenstände wie Wände, aber auch selbst beigefügte Bisse.

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Die Kinderschutzorganisation NSPCC warnte bereits im Jahr 2007, dass die Zahl der Jungen, die sich selbst verletzen, sich verdoppelt hat. Amerikanische Soziologen haben für ein Buch, zehn Jahre lang Jugendliche übers Ritzen oder ähnliche Selbstverletzungen befragt. „Die Gruppe von sich selbst verletzenden Männern wächst ohne Zweifel“, so die zwei Soziologen.

Unterschiede

Leichte Unterschiede bei den Geschlechtern gibt es allerdings doch. Höher ist das Risiko definitiv für Jugendliche, die regelmäßig Betäubungsmittel konsumieren, körperlich oder sexuell missbraucht wurden oder Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein haben. Das Risiko ist übrigens laut Wissenschaftlern aus Nordirland bei Jungen noch höher, wenn sie sich wenig sportlich betätigen.
Das Risiko stieg aber auch für Jungen an, die übermäßig Angst haben, sich Sorgen um ihre sexuelle Orientierung machen oder impulsiv handeln, oder aber auch ob sie sich bi- oder homosexuell orientieren.

Doch, nicht alle die sich selbst verletzen, sind gleich psychisch krank oder haben gar Suizidgedanken: Manche senden durch das Ritzen, oder ähnlichen Selbstverletzungen, nur ein Hilfesignal ab. Psychologen sagen aber, dass wenn sich ein Jugendlicher regelmäßig selbst verletzt, ein klares Warnsignal für eine psychische Krankheit vorliegt.

Gefühle ausdrücken

Die Vorwerker Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Lübeck, hat die „Station Poseidon“ eingerichtet. Das ist eine kleine Station, für ausschließlich männliche Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren, die Verhaltensprobleme haben. Eine derartige Station ist in der Bundesrepublik vermutlich einzigartig.

Von sieben Patienten haben sich etwa vier Jungen jahrelange selbst verletzt. Sie durchlaufen auf der Station ein etwa viermonatiges Behandlungsprogramm, um andere Wege zu finden ihre Gefühle ohne Selbstverletzung auszudrücken. Cedric und Max waren auch hier.

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Text: Lukas Pohland
Fotos: Bildagentur Zoonar (Ursula Deja, Graja, Maxxkabakov)

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