Die Kraft der Kräuter

Warmherzig wie Ringelblumen und Lebenslustig wie Johanniskraut
Die Kraft der Kräuter

Sie blühen auf der Wiese, stehen unscheinbar am Wegesrand oder quälen getarnt als Unkraut beherzte Hobbygärtner: Wir sind von unzähligen Kräutern umgeben. Manche von ihnen haben sogar Heilkräfte.

Es ist nichts zu hören. Außer das Plätschern des Baches und das Zwitschern der Vögel. Der Lavendel kitzelt das Knie. Die Rosen sonnen ihr Köpfchen und dann geht leise die Tür zum Pfarrstadel auf: Ein unvergesslicher Duft strömt entgegen – eine Mischung aus Heu, Lavendel, Zirbe. Und mit jedem Schritt verwurzelt sich ein weiterer Kräuterduft im Langzeitgedächtnis.

Ein gewollter Effekt im Kräuterdorf Irschen. Der beschauliche Ort mit knapp 2000 Einwohnern am Hang der Kreuzeckgruppe, einem südlichen Ausläufer der Hohe Tauern, hat sich innerhalb von zwanzig Jahren zu einer wahren Kräuterhochburg gemausert. Schritt für Schritt wurden touristische Angebote rund um Kräuter entwickelt: Tagesgäste entdecken bei Schnuppertouren die liebvoll angelegten Schaugärten und sammlen Wildkräuter bei Wanderungen. Anfang Juli wird ein Kräuterfestival gefeiert und Mitte Oktober endet die Kräuterhochsaison mit einem Lichterfest. Natürlich gab es zu Beginn skeptische Blicke von einigen Dorfbewohnern. Die kritischen Stimmen sind jedoch verstummt. Die Kräuterliebhaber wurden mehr, genauso wie die Jobs und das Wissen über Pflanzen.

Warmherzig wie Ringelblumen

Mit drei Fingern greift sie tief in die braune Papiertonne, holt ein Büschel Blüten heraus und füllt es in den durchsichtigen Beutel. Eine Waage braucht Katharina Hassler nicht. Intuitiv erfasst sie die richtige Menge und mixt den „Bauchzwick-Tee“ zusammen. Sie ist Obfrau der ARGE Kräuterbauern und beherbergt auf ihrem Biobauernhof auch die Kräuterverarbeitungsstätte des Dorfes. Bei ihr trocknen die frischen Kräuter und werden zu 16 verschiedenen Teemischungen weiterverarbeitet. Die rund 200 Kilo Trockenware verbraucht Kathi innerhalb eines Jahres. Alles wird mit der Hand gemacht: Kräuter säen, ernten, trocknen, prüfen, abpacken. „Wir haben kein großes Gewinndenken“, sagt Kathi, während sie die Teepackungen in zwei überdimensionale Körbe schlichtet und zum Auto trägt.

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Unterstützt wird Kathi am Hof von ihrer Pächterfamilie aus Sachsen. „Die Kinder bringen Leben ins Haus und wir sind froh, dass wir sie haben und sie sind froh, dass sie uns haben“, freut sich die Biobäuerin. Sie hat den ganzen Tag zu tun, aber hat auch gelernt nein zu sagen. „Frauen müssen ihre Grenzen kennen und sich selbst gut einschätzen. Ständiger Stress macht krank. Wenn etwas nicht geht, lässt man es einfach und sagt jetzt ist Schluss.“ Kräutertee hilft beim Abschalten. „Wer sich überspannt fühlt, greift zu Johanniskraut. Am Morgen wirkt Minze belebend, am Abend beruhigt die Melisse. Selbst im Sommer ist Kräutertee erfrischend – einfach einen Liter Tee mit Eis und Zitrone kalt stellen“, rät Kathi. Damit der Tee nicht ausbleicht und lange hält, sollte er immer in einer lichtgeschützten Dose verwahrt werden. Das Teekochen ist simpel: Ein paar Kräuter in die Kanne, Wasser kochen, aufgießen, ein paar Minuten ziehen lassen, mit Honig verfeinern und in Ruhe trinken.

Lebenslustig wie Johanniskraut

Mit drei Fingern nimmt sie die getrockneten Schnittlauchblüten in die Hand, riecht daran, lächelt und legt sie bedacht auf die graue Räucherkohle. Sofort tanzt aus der silber schimmernden Muschel ein kleine Rauchsäule empor und hüllt den Raum mit zarten Fäden ein. „Wirkt antibakteriell“, sagt Annette Wallner (41) bevor sie noch Melisse zur Beruhigung und Johanniskraut für gute Stimmung darauf legt. Das Räuchern hat die Naturheiltherapeutin schon immer fasziniert: Ihre Großmutter war ein richtiges „Kräuterweiberle“. Räuchern gehörte zum Alltag. Eng verwoben mit der christlichen Tradition. So wurde der Baumschwamm ein Jahr lang getrocknet, erst dann ins Osterfeuer gelegt und von Haus zu Haus getragen. Dabei wurde der glühende Schwamm ständig im Kreis geschwungen, damit das Feuer nicht ausgeht. „Die Menschen glaubten, das bringe Segen ins Haus und vertreibe Krankheiten. Und sie hatten Recht. Der Rauch zerstört Bakterien und Keime, das ist mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen“, erzählt Annette.

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Dann werden die Kräuter aufgelegt. „Die Heilwirkung ist ähnlich wie beim Tee“, sagt Annette. Angelikawurzel gibt Schutz, Wacholderbeeren desinfizieren, Baumharz klärt, Iriswurzel und Sandelholz sind für die Liebe. Ein paar appetitanregende Schnittlauchblüten in den Griller geworfen und schon werden die Reste auch noch weggeputzt. Exotische Kräuter sind gar nicht notwendig. Gartensalbei ginge genauso wie der weiße indianische Salbei. Annette rät: „Weniger ist mehr. Wer es zu gut meint, bekommt Kopfweh. Daher immer nach dem Räuchern Fenster aufmachen und lüften.“

Energievoll wie Anglikawurzel

Mit drei Fingern öffnet Angelika Prentner, Expertin für Traditionelle Europäische Medizin, die Tür zur ihrer Apotheke im Wallfahrtsort Mariazell. Seit fast 300 Jahren werden hier nach alten Rezepturen Heilmittel aus Pflanzen hergestellt. Die Grundrezepturen hat 1835 der Apotheker Michael Hölzl niedergeschrieben, nachdem es im Ort einen Großbrand gab. Seit damals wurden die Hefte sicher am Dachboden verwahrt. Das Lebenselixier wurde darin unter dem Namen „tinctura longae vitae“ beschrieben. In moderner Form stärkt es Herz, Kreislauf und Nerven. Auch die Angelikawurzel ist im Lebenselixier enthalten. Eine Pflanze, die heute unterschätzt wird. Denn die Angelikawurzel stärkt das Energiesystem des Menschen und schützt gegen Strahlungen von außen wie jene von Mobilfunk oder Internet.

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Gelassen wie Rosenblätter

Mit drei Fingern hält sie den Lavendel, streut ihn über die weiße Masse und rührt die Schüssel um. Danach kommt die Naturseife in eine Holzform, härtet aus und wird in Form geschnitten. Alexandra Regenfelder ist eigentlich Köchin und Stadtmensch. Sie lebte in England und Salzburg und schimpfte mit ihrem Vater als er mitten in den Bergen einen Grund kaufte. Heute lebt sie selbst mit ihrer Familie im Dorf und hat sich an das Landleben gewöhnt. „Jeder kennt jeden. Es ist normal, dass man für alles eine halbe Stunde länger braucht, weil am Gartenzahn getratscht wird“, erzählt Alexandra.

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Tatkräftig wie Rosmarin

Mit drei Fingern holt Sonja Moser vorsichtig die Salbeiblätter aus dem Hochbeet und bringt sie in die Küche, wo ihr Lebensgefährte gerade Alpe-Adria-Genüsse auf den Teller zaubert. Die Küchenkräuter müssen frisch sein, dürfen weder Verfärbungen noch herunter hängende Blätter aufweisen. Nur so können sie optimal bei der Vitamin- und Mineralstoffversorgung des Körpers helfen. Petersilie entwässert zum Beispiel, Basilikum beruhigt die Nerven und Koriander stärkt den Magen. Gemeinsam mit Koch Markus Locker hat Sonja das Landhotel Irschen übernommen. Eine Herausforderung für das junge Paar. „Unser Projekt fürs Leben“, schmunzelt Sonja, die sich inmitten der Berge wohlfühlt. Selbst wenn das Leben eine überraschende Wendung nimmt, geht sie wie die anderen Frauen aus Irschen weiter ihren Weg. Geprägt, und manchmal sogar geleitet, von den Kräutern.

Kräuter-Biobauernhof Köstl
In Simmerlach werden die Kräuter zu Teemischungen verarbeitet: Besucher bekommen Einblick in die Kräuterverarbeitung und können Produkte ab Hof kaufen. Bitte voranmelden! Telefon +0043 (0) 4710/2488.

Buchtipp:
Warum blühen in den Alpen Zitronen? Wo werden die Verwandten von Batman großgezogen? Hat der Rabe wirklich geantwortet oder war es doch eine Illusion vom Wunschbaum im Wald? Kärnten hat viel zu bieten. Kommen Sie mit, in ein Land voller skurriler Geschichten, spannender Menschen und prominenter Orte. Und Sie werden verstehen, warum kaum jemand dem karibischen Flair des Wörthersees oder den stillen Minuten in luftigen Höhen widerstehen kann. Lassen Sie sich von der Kärntner Gelassenheit und Lebensfreude anstecken – und genießen Sie den Moment. Ein Buch voller Lieblingsplätze, Wandertipps und kulinarischen Überraschungen.

Kärnten ganz gemütlich, 66 Lieblingsplätze und 11 Badeseen, Anita Arneitz, Gmeiner Verlag, 192 Seiten, ISBN: 978-3-8392-1786-3, € 14,90, Erscheinungstermin: 3. Juni 2015 (bereits jetzt vorbestellbar).

Text und FOTOS: Alle Anita Arneitz

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