Interview mit dem Regionalforscher Ebbe Kögel

Die Heimattage in Baden-Württemberg 2014 und das Remstal
"Als Stettener fasziniert mich die historische Figur des David Pfeffer von Stetten“

Interview mit dem Regionalforscher Ebbe Kögel über die Heimattage Baden-Württemberg 2014 in Waiblingen und seine Heimat das Remstal. Ebbe Kögel ist Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Allmende Stetten.

Was ist das Besondere an den Waiblinger Heimattagen Baden-Württemberg 2014?

Ebbe Kögel: An den gegenwärtig stattfindenden Heimattagen in Waiblingen gefällt mir die Zusammenarbeit der Gruppen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund (Migrant/Innen) und der unterschiedlichen Glaubensrichtungen sowie Religionsgemeinschaften. Leider hat das Programm – zumindest am Eröffnungswochenende – eine zu starke Betonung auf der Rolle der örtlichen Firmen und des Gewerbes. Also ob die Firma Bosch besonders viel zum Heimatgefühl der bei ihr Beschäftigten beiträgt, wenn sie – wie vor zwei Jahren geplant – die Produktion im Kunststoffwerk Waiblingen einstellen und ins Ausland verlagern will. Andererseits gibt es auch Firmen wie Stihl, die eine bewusste – und auch öffentlich verkündete – Standortentscheidung für Waiblingen getroffen haben. Was den Auftritt von Heino betrifft – naja. Für mich bleibt der eine heimattümelnde Nervensäge – mit dessen Begriff von Heimat will ich nichts zu tun haben.

Auf den Heimattagen in Waiblingen geht es auch um historische Entwicklungen im Remstal. Welche historischen Ereignisse bzw. Personen sind da besonders erwähnens- bzw. bewundernswert?

Ebbe Kögel: Hier ist vor allem der Aufstand des Armen Konrad zu nennen und der Peter Gaiß aus Beutelsbach, einer seiner Anführer. Ein begnadeter Redner und Agitator, der mit seiner „Wasserprobe“ an der Rems ein Unterdrückungsinstrument der Herrschenden – die „Wasserprobe“ bei der Hexenverfolgung – gegen die Herrschenden selbst wendet und damit den Aufstand einleitet.

Als Stettener fasziniert mich ebenso die historische Figur des David Pfeffer von Stetten, ein schwäbischer Till Eulenspiegel, der den Herrschenden mit seinen Späßen und Streichen den Spiegel vorhielt. Ihm zur Ehre produzieren wir unsere Filme im Rahmen vom „Projekt Dorfgedächtnis“ unter dem Namen „David Pfeffer Filmproduktion“. Darüber hinaus wären zwei weitere Stettener zu nennen: zum einen Hildegard Spieth, Pfarrersfrau zu Zeiten der NS-Diktatur, die unter Gefahr für ihr eigenes Leben das jüdische Ehepaar Krakauer im Stettener Pfarrhaus beherbergte und ihnen so ermöglichte, den Holocaust zu überleben. Dann noch der Stettener Widerstandskämpfer Hermann „Mendel“ Medinger, der 1934 am so genannten „Kabel-Attentat“ der KPD in Stuttgart beteiligt war, mit dem die Übertragung von Hitlers Rede in der Stutttgarter Stadthalle zum Süddeutschen Rundfunk unterbrochen wurde. Also eher „einfache“ Menschen aus dem Volk, die einen aufrechten Gang bewiesen haben und sich den Tyrannen oder den Ausbeutern mutig entgegengestellt haben.

Bei meinen touristischen Führungen erzähle ich immer von diesen Persönlichkeiten und treffe in der Regel auf eine sehr positive Resonanz.

Wie hat sich der Begriff Heimat in den vergangenen Jahren verändert – was kann heutzutage im Menschen „Heimatgefühle“ wecken?

Ebbe Kögel: Hier beziehe ich mich vor allem auf den Philospohen Ernst Bloch und seinen berühmten Satz aus dem Werk „Prinzip Hoffnung“: so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat. Die Suche nach dem, was es noch nicht gibt, ist für Bloch gleichbedeutend mit der Suche nach Heimat als Ort, an dem Menschen sich selbst und anderen gegenüber nicht entfremdet sind, an dem sie zusammen leben, arbeiten, lernen, spielen können – und zwar nicht auf dem Hintergrund gegenseitiger Konkurrenz und Ausbeutung.
Gegen den Vorwurf, eine solche Welt sei nicht realisierbare Utopie, setzt Bloch den Begriff der "konkreten Utopie", der den Utopiebegriff positiv absetzt gegen bloße Träumerei oder Verbannung aller Hoffnungen auf eine bessere Welt ins Jenseits. Utopie ist für Bloch etwas höchst Reales, hohes Ziel, das aber in der allernächsten menschlichen Nähe liegt. Wie aber wäre dieses Ziel, wäre konkrete Utopie, wäre Heimat erreichbar? In diesem Sinne arbeite ich und die Allmende daran, unseren Kindern einen solchen (utopischen) Ort zu schaffen, in dem Menschen solidarisch zusammen leben, sich gegenseitig unterstützen und tragen (aber auch lernen, Konflikte auszutragen). Eine andere Welt ist möglich!

Altes Brauchtum sowie traditionelle Mundart gehen verloren. Macht Sie das nachdenklich?

Ebbe Kögel: Ein Großfamilienzusammenhalt, der noch zu Lebzeiten meiner Großeltern ganz selbstverständlich war, fällt zunehmend auseinander. Daraus ergibt sich, dass Zusammenhalt und Heimatgefühl verlorengehen – das hat aber auch eine befreiende Wirkung, bedeutete doch die traditionelle Großfamilie auch (geistige) Enge und Unterdrückung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten (besonders für Frauen). Dramatisch ist der Verlust des Dialektes, der sich innerhalb von nur 50 Jahren durch die kapitalistische Entwicklung, Fernsehen usw. bemerkbar gemacht hat. Und – anders als in Bayern – haben die Schwäbinnen und Schwaben leider kein Bewusstsein über die Bedeutung ihres Dialektes und schämen sich eher seiner – und versuchen deshalb, ihren Kinder ein Hochdeutsch beizubringen, das sie selber aber gar nicht richtig beherrschen. Sie nehmen so ihren Kindern den Zugang zu der Sprache und Kultur ihrer Vorfahren. In 20-30 Jahren werden diese Kinder Interviews mit ihren Vorfahren nur noch mit Untertiteln angucken können. Die vorhandenen Gegenbewegungen werden nicht ausreichen. Denn das Fatale ist, dass Schwäbisch weitgehend aufs Kabarett oder nervige Theaterstücke à la „Hannes und der Bürgermeister“ beschränkt wird. Wenn er keine Alltagssprache ist, kann ein Dialekt nicht überleben. Deshalb mache ich grundsätzlich meine Führungen und wissenschaftlichen Vorträge in Schwäbisch (mit gelegentlichen Übersetzungen für Nicht-Dialekt-Sprecher).

Ihre Heimat ist das Remstal – das Land der Spätzle, Dichter, Erfinder, Tüftler, Maultaschen, Weinberge und Fachwerkorte. Wie hat sich das Remstal aus Ihrer Sicht entwickelt?

Ebbe Kögel: Wir hatten vor 30 Jahren mal ein Lied gedichtet mit dem Refrain „Remsdal – Bremsdal – Schdenkdal – Betondal“. Der Refrain ist leider immer noch gültig. Fortschritt, Fortschritt über alles – die alten Häuser wurden abgerissen (inzwischen auch die alten Fabriken aus Backstein), die alten Terrassenwengert zerstört. Alles im Namen des Fortschritts. „Dieser Fortschritt schreitet über Leichen fort, Profitgier bewegt sein Hirn“ hat Walter Moßmann mal in den 1970er Jahren gesungen. Gesichtslose Dorfzentren (Stetten leider ein sehr negatives Beispiel), gesichtslose Industriegebiete, wo die Fabrikgebäude nicht mal mehr Fenster haben) und Konsumtempel auf der grünen Wiese nach US-amerikanischem Vorbild. Für das Remstal ist das in meinen Augen eine ungute Entwicklung. Andererseits gibt es inzwischen auch Gegenbewegungen: Biobauern, Menschen, die alte Häuser erhalten, weil die noch eine „Seele“ haben. Aber das sind Einzelfälle, überall regiert der Mammon und das Zupflastern von Ackerböden für ein paar Pfennig Gewerbesteuer oder die Erschließung von Baumwiesen für die Villen der Gutsituierten und Neureichen. Als Beispiel nenne ich hier den ehemaligen Fußballnationalspieler Hansi Müller in Korb, der eine Bürgerinitiative gegen die Windkraft einzig und allein aus dem Grund bildet, damit der Wert seiner Villa nicht geschmälert wird – keine gute Entwicklung.

Glauben Sie an die neue Heimat „Europa“?

Ebbe Kögel: Ich bin Internationalist und eigentlich ein überzeugter Europäer. Ich finde es sehr angenehm, dass ich ohne Passkontrollen nach Spanien fahren kann und nicht an jeder Grenze Geld wechseln muss – so wie früher. Gar nicht gefällt mir das Europa des Kapitals, des Militärs, der internationalen Nahrungsmittelkonzerne, die ihre Gen-Scheiße auf den europäischen Markt bringen wollen. Über eine europäische Verfassung wurde nie abgestimmt!

Welche Initiativen engagieren sich für die „Heimat“ im Remstal?

Ebbe Kögel: Mit den zahlreichen Heimatvereinen, die ein Bild von einem „früher“ beschwören, in dem angeblich alles besser war, habe ich eigentlich nichts am Hut. Die Allmende Stetten setzt dem ihre Reihe „Heimatkunde“ entgegen, mit der zwar die Vergangenheit erforscht wird (durch Interviews, Dokumentarfilme, Sammeln von Dokumenten und Fotos), aber mit einem sehr kritischen Blick auf Engstirnigkeit, soziale Kontrolle, Verfolgung und Ermordung von Andersartigen und dem Infragestellen der vorherrschenden Meinung, dass Mensch so zu sein hat, wie es die anderen von uns erwarten.

Herr Kögel, vielen Dank für das Gespräch.

Text und Interview: Andreas Scholz
Fotos: Porträtfoto Ebbe Kögel (Bildquelle Ebbe Kögel), Restliche Fotos (Bildquelle Andreas Scholz)
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