Ein unverhofftes Wiedersehen

Ein unverhofftes Wiedersehen
Von einem nichtgeplanten „Klassentreffen“
Kurzgeschichte von Walter J. Pilsak

Es kommt nur selten vor, daß eine Reisegruppe aus Südtirol nach Nordbayern fährt, um dort historische Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. In der Regel ist es eher umgekehrt. Diese kleine Geschichte, die sich vor nicht allzu langer Zeit zugetragen hat, erzählt von einer solchen Reisegruppe, deren Fahrt eine ganz besondere Überraschung brachte:

An einem Souvenierstand in einer kleinen Stadt steht Tag für Tag während der Sommermonate eine ältere Dame und verkauft dort an Fremde Oberpfalz-Andenken. Seit über drei Jahrzehnten, genauer gesagt seit 33 Jahren, lebt diese Frau nun schon hier. Von Geburt Südtirolerin, lernte sie in ihrem Heimatort Brixen nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Mann kennen. Einige Jahre später übersiedelte das Ehepaar hierher und der Kontakt zu den früheren Mitschülerinnen und Bekannten in Südtirol ging allmählich verloren.

Nachdem ihr Mann gestorben war und die Kinder eines nach dem anderen aus dem Hause gingen, stand die gebürtige Südtirolerin plötzlich alleine im Leben. So ergab es sich, daß sie an einem kleinen Andenken-Stand in der Nähe einer vielbesuchten Sehenswürdigkeit sich als Verkäuferin die Zeit etwas vertreiben konnte und gleichzeitig auch ihre Rente etwas aufbesserte.

An einem schönen Sommertag stand die Frau wieder einmal hinter dem Stand und wartete auf Kunden. Gerade kam wieder ein Autobus mit Besuchern. Plötzlich hörte sie eine ihr vertraute Mundart. Es war der Reiseführer und Busfahrer, der in unverfälschter Südtiroler Mundart sprach. Es war ein Klang, der in ihr ein Gefühl von Sehnsucht aber auch etwas Heimweh aufkommen ließ. Denn trotz des erfüllten Lebens fernab von ihrer angestammten Heimat, galt in ihrem Unterbewußtsein weiterhin dem Land in den Dolomiten ihre heimliche Liebe.

Als der Mann mit der ihr so vertrauten Sprache in die Nähe kam, wartete die „Standlfrau“ eine günstige Gelegenheit ab, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Auf die Frage, woher er wohl käme, erfuhr sie, daß er mit einer Reisegruppe aus Brixen - bestehend aus älteren Damen - hier sei. Man kann sich vorstellen, daß die Freude groß war, als sie dies hörte. Bald war auch die Neugierde der Reiseteilnehmer geweckt, als sie erfuhren, daß hier eine ehemalige Brixenerin an einem Stand Andenken verkaufe. Eine Reiseteilnehmerin stellte sich ihr sogleich vor und sprach: „Ich bin die Olga. Ich habe gehört Sie sind auch aus Brixen?“

„Ja, meinte die Verkäuferin, „ich habe in Brixen auch eine Olga gekannt. Sie war aus einem Juweliergeschäft!“

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Text: Walter J. Pilsak