Filigrane Gräser

Filigrane Gräser

Eine kaum beachtete Wunderwelt


Gräser werden in unserer Wohn- und Kulturlandschaft kaum beachtet. Sie sind fast überflüssig, wenn nicht sogar lästig. Auf Rasenflächen unserer Gärten lässt man sie kaum einige Zentimeter in die Höhe wachsen. In den hintersten Winkeln unserer Gärten fällt man über sie mit der Schere her und auch an anderen Orten und Plätzen werden Gräser nur als lästiges und unschönes Unkraut betrachtet. Eine Existenzberechtigung gibt man dem Gras eigentlich nur noch auf unseren Weiden und Wiesen.


Eine Wiese aus der Ferne betrachtet sagt uns eigentlich nicht viel. Wir registrieren bestenfalls die Farbe von ihr, die während der Sommermonate aus einem beruhigendem Grün und im Winter aus einem fahlem Braun besteht. Erst wenn wir uns ihr nähern und so mehr Einzelheiten wahrnehmen, gibt sie sich zu erkennen. Wir sehen, aus welchen Gräsern sie besteht. Diese Gräser sind faszinierende Pflanzen, vor allem wenn man sie aus der Nähe - am besten mit einer Lupe - betrachtet. Was für kunstvolle und zarte Details entdeckt man doch an ihnen! Jede Kleinigkeit daran ist ein Kunstwerk für sich, wie es ein Bildhauer oder Maler nicht vollkommener schaffen könnte.

Poetisch könnte man Gräser als „grazile Kunstwerke im Hauch des Windes“ bezeichnen. Und in der Tat sind Gräser wohl die grazilsten und filigransten Kunstwerke in der Natur. Mit ihren eleganten und anmutigenden Formen beeindrucken sie den Betrachter. Wenn wir uns die verschiedenen Arten einmal etwas näher betrachten, werden wir eine unendliche Vielfalt an Formen und dezenten Farben entdecken. Die Blüten der meisten Arten bestehen aus drei Staubblättern und dem Fruchtknoten, die von zwei Spelzen - einer Deckenspelze und einer Vorspelze - umgeben sind. Innen, an der Basis des Samen sind noch zwei Schwellkörper vorhanden. Durch diese werden die beiden Spelzen auseinandergedrängt, so dass die Staubbeutel heraustreten können. Eine einzige Pflanze des Windhalms produziert z.B. bis zu 12.000 keimungsfähige Samen. Die Süßgräser sind übrigens ganz zur Bestäubung durch den Wind übergegangen, so dass sie allein aus diesem Grund keine auffallenden Blütenblätter benötigen.

Eine dominierende Pflanzengruppe

Unter den einkeimblättrigen Pflanzen sind die Gräser im weiteren Sinne in jeder Hinsicht die beherrschende, artenreichste Gruppe.

Man kann sie ganz grob in Süßgräser, Sauergräser und Binsengewächse unterteilen. Während letztere leicht zu erkennen sind, lassen sich die erstgenannten zwei Arten schon schwieriger auseinanderhalten. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal bei den Sauergräsern ist der dreikantige Stängel, der im Gegensatz dazu bei den Süßgräsern rund und durch Knoten gegliedert ist.

Die Süßgräser sind auch am häufigsten vertreten. Man schätzt, dass von diesen heute auf der Erde etwa 8.000 Arten bekannt sind. Neben den Holzgewächsen haben die Süßgräser für die Vegetation der Erde die größte Bedeutung. Man denke nur an die riesigen Prärien, Grassteppen, Savannen und Tundren, in denen Gräser mit ihrem weitverzweigten Wurzelsystem, mit ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Wind, Kälte und Trockenheit und mit ihrer großen vegetativen Kraft landschaftsprägend und wichtigste Ernährungsbasis für die Tierwelt sind. Da Gras, im Gegensatz zu vielen anderen krautigen Pflanzen, von unten aus wächst, und auch dann gedeiht, wenn die Spitzen abgefressen werden, kann es zahlreiche große Tierarten ernähren.

Die großen Graslandschaften entstanden vor 25 Millionen Jahren, als sich das Weltklima veränderte. Dies geschah vor allem da, wo nicht genügend Niederschlag vorhanden war oder der Boden zu wenig Nährstoffe aufwies, um einen geschlossenen Baumbewuchs zu ermöglichen. In Europa wurde fast das ganze Grasland von Menschenhand geschaffen. Als natürliche Bodenbedeckung entstand hier überwiegend Wald.

Gräser als Fotomotiv sind gefragt

Für den Fotografen können Gräser faszinierende Motive sein. Sei es nun, dass er sie als Ganzes oder nur ein Detail von ihnen auf den Film bannt. Gräser bieten für den fotografierenden ein weites Betätigungsfeld, wenn man daran denkt, dass es an die 40.000 verschiedene Arten gibt. Besonders interessant sind Grasstudien in zarten Pastellfarben. Aber auch im gleißenden Gegenlicht bieten sie sich uns an. Ein Meister fotografischer Pflanzen- und Grasstudien war der Bildhauer und Hochschulprofessor Karl Blossfeldt, der 1928 den Band „Urformen der Kunst“ und 1932 „Wundergarten der Natur“ veröffentlichte. Mit diesen Publikationen erstellte er in meisterlicher Weise einen Formenkatalog, der bildenden Künstlern, Kunsthandwerkern und Architekten als Lehr- und Musterbuch beim Entwerfen dienen sollte. Die Gras- und Pflanzenaufnahmen von Blossfeldt beeinflussten übrigens das Kunstschaffen seiner Zeit enorm.


Text & Fotos: Walter J. Pilsak