Bergblumenmärchen

Blühende Kostbarkeiten unserer Alpen
Bergblumenmärchen

Blühende Kostbarkeiten unserer Alpen



Ein Bergblumenmärchen kann man nicht nur in dem gleichnamigen Kinderbuch von Jakob Streit erleben, sondern auch in den Bergen, wenn wir die Alpenflora bewundern dürfen. Die außergewöhnlichste und farbenprächtigste Blütenpracht Mitteleuropas wächst nämlich in den Alpen. Die Bergwiesen weisen selbst heute noch – da in anderen Gegenden die Wiesen und Weiden recht eintönig geworden sind - eine erstaunliche Vielfalt an Blumen auf. Jeder Urlaubsgast und auch Einheimische ist von dieser Üppigkeit der Alpenflora begeistert.

Der Koreanische Dichter Chong Chol schrieb im 16.Jahrhundert folgendes Gedicht:

Wie weiß ein Mönch die Jahreszeit?
Bergblumen verraten die vier Jahreszeiten.
Zwischen blauen Wolken sitzend,
schreibt er Gedichte über Paulownien-Blätter.

Jeder von uns, der vor der einzigartigen Blütenpracht der Berge steht, kann die lyrischen Gedanken dieses Poeten nachvollziehen oder würde sich sogar selbst in ihn hinein versetzen wollen. Wer sich nur etwas in der Flora auskennt, ist überwältigt, wenn er zum ersten mal dieses herrliche Bergblumenmärchen erleben darf. Knabenkräuter, Enzian, Trollblume, Akelei, Türkenbund und Feuerlilie sind nur einige dieser kostbaren Raritäten, die man dort antrifft. Kaum dass die Schneeschmelze vorüber ist, verwandeln sich die Gebirgshänge schon in wahre Blütenparadiese.

Intensive Blütenvielfalt

Ein Grund, warum die Blütenpracht uns so überwältigend und intensiv vorkommt, ist die kürzere Wachstumsperiode im Vergleich zum Flachland. Es blühen deshalb viele Pflanzen gleichzeitig. Pro Hundert Höhenmeter verringert sich die Zeit von der Blüte bis zur Fruchtentwicklung in den Alpen um bis zu sieben Tage. So gibt es im Gebirge an irgend einem Ort immer einige Blumen, die gerade auf dem Höhepunkt ihrer Blüte sind, und dies vom Frühjahr bis in den Herbst hinein.

Die Alpen sind kein einheitlicher Lebensraum für Blumen. Während manche Arten kalkhaltige Böden lieben, meiden andere diesen und gedeihen nur auf sauren Böden. Es gibt auch Blumenarten, die nur in den westlichen oder den östlichen Teilen der Alpen gedeihen. Andere wiederum fühlen sich nur im südlichen, nördlichen oder zentralen Teil der Alpen wohl. Diese findet man anderswo kaum.
Verschiedene Vegetationseinheiten

Auch die verschiedenen Höhenregionen haben eine große Auswirkung auf das Vorkommen bestimmter Arten. Nach dem hügeligen Alpenvorland ist die eigentliche Bergregion in vier verschiedene Höhenstufen eingeteilt. Die unterste Vegetationseinheit ist die Waldstufe bis in eine Höhe von etwa 1800 m. Während zuunterst oft ein natürlicher Laubwald wächst, folgen dann aufwärts Fichten, Tannen, Buchen sowie Kiefern und Lärchen. In dieser Region befinden sich auch die Alpen und Almen. Durch die Stickstoffeinschwemmung gedeiht dort die sogenannte „Lägerflur“. Dies sind nitratsalzliebende Pflanzen sowie einige Arten der Hochstaudenflur.

Die Waldstufe geht dann in die Krummholzstufe über, die bis etwa 2300 m hinaufreicht. Hier gedeiht die sogenannte „Hochstaudenflur“ mit mehrjährigen Krautgewächsen. Diese sterben im Herbst bis zum Boden ab und überwintern meist mit ihren Wurzelstöcken.

Nach der Krummholzstufe folgen die Matten die sich bis in eine Höhe von über 3000 Metern hinaufziehen können. Auf diesen mehr oder weniger steinigen Böden gedeihen nur noch Gräser und krautige Pflanzen. Die pflanzenärmste Region ist dann die Felszone, die sich daran anschließt. An Südhängen und in den Südalpen verschieben sich diese verschiedenen Vegetationseinheiten aufgrund der intensiveren Sonneneinstrahlung etwas nach oben. Die besondere Lage der Alpen trug dazu bei, dass sich hier besondere Lebensgemeinschaften entwickelten wie sonst nirgendwo in Europa. Im Norden der Alpen ist es nämlich kalt, im Süden warm, im Osten trocken und im Westen feucht.

Doch die große Blumenvielfalt der Alpen ist nicht nur auf die klimatologische Vielfalt zurückzuführen. Auch die unterschiedliche Bodenbeschaffenheit der Alpen ist dafür maßgebend. Hier gibt es jeden erdenklichen Untergrund für die Pflanzen. Ob feuchte Moore, saure Moorböden, Lehmböden, kalkhaltiges Gestein oder kahler Fels – auf jedem Boden sind bestimmte Pflanzen spezialisiert.

Formenreichtum unserer Alpenflora

Der Formenreichtum der Alpenblumen ist sehr vielfältig. Am intensivsten fällt dies in der Region oberhalb der Baumgrenze auf. Hier variieren die verschiedenen Faktoren wie Bewässerung, Bodenbeschaffenheit, Windexposition und Dauer der Schneebedeckung schon auf geringsten Entfernungen. Innerhalb weniger Metern wechseln sich deshalb hier die unterschiedlichsten Pflanzengesellschaften ab. Uns äußert sich dies in einem sehr heterogenen Erscheinungsbild und in einer beachtlichen Artenvielfalt.

Text & Fotos: Walter J. Pilsak
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