Überlebt unter der Haut des Feindes

Die Geschichte vom Hitlerjungen "Salomon"
Herford. Sally Perel hat den Holocaust als Hitlerjunge überlebt. Weil er sich als Volksdeutscher ausgab, entging er den Mördern der SS. Die Deutschen schickten das vermeintliche Waisenkind auf ein Internat der Hitlerjugend in Braunschweig. Sally Perels Biografie erschien als Buch und Film unter dem Titel "Hitlerjunge Salomon". Auf seinen Lesereisen durch deutsche Schulen teilt Sally Perel mit Jugendlichen seine Erfahrungen. Darin sieht er den Sinn seines Überlebens. 

Mit Schalom Alechem und Salaam Alejkum begrüßt Sally Perel die Schülerinnen und Schüler im Lernstudio der Gesamtschule Friedenstal. "Friede heißt das", erklärt er und einige der vielen türkisch- und arabischstämmigen Jugendlichen antworten zögernd Alejkum Salaam. Das erste Eis ist gebrochen zwischen dem 85jährigen, der als Jude den Holocaust in der Nazi-Jugendorganisation "Hitlerjugend" überlebte und den jungen Leuten, die die Geschichte des Dritten Reichs - wenn überhaupt - nur aus Büchern und Schulstunden kennen.

Es hat eine Weile gedauert, bis eine Zwölftklässlerin vorsichtig wagte, die erste Frage zu stellen: "War es schwierig, zwischen den Nationalsozialisten die eigene Identität zu bewahren?", möchte die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren wissen. Sally Perel überlegt einen Moment, bevor er antwortet: "Ich lebte in zwei Welten, in der die Eine von der Anderen nichts wusste." Sally Perel spricht überlegt und entwickelt seine Gedanken Schritt für Schritt, als hätte er seine Geschichte nicht schon hundert Mal erzählt. "In meiner Brust jagten sich zwei tödlich gegenüberstehende Seelen. Tagsüber war ich in der Welt des Nationalsozialismus als begeisterter Hitlerjunge. Und nachts mit Tränen und Sehnsucht bei der Familie, die im Ghetto lebte." Fast vier Jahre lang überlebte Sally Perel, indem er sich selbst verleugnete. 

1925 kam er in einer jüdischen Rabbinerfamilie im niedersächsischen Peine zur Welt. Kurz vor Sallys achtem Geburtstag riss Adolf Hitler die Macht an sich. Nachdem die Nationalsozialisten den Juden fast alle Berufe verboten hatten und 1935 sogar Kontakte zwischen Juden und Nichtjuden untersagten, floh die Familie Perel nach Lodz in Polen. Als die Deutschen 1939 dort einmarschierten, schickten die Eltern den 14jährigen Sally mit seinem älteren Bruder Isaak ins sowjetisch besetzte Grodno. Dort lebte er in einem Kinderheim, bis die Wehrmacht auch Ost-Polen besetzte. Seine abermalige Flucht endete 1941 in Weißrussland. Dort verhafteten die Deutschen den 16jährigen Sally. Während Schergen der SS schon begannen, die von den Wehrmachtssoldaten identifizierten Juden zu erschießen,  fragte ihn ein Soldat mit Gewehr im Anschlag: "Bist Du Jude?"

Sally sah sein Lebensende gekommen. Er dachte an die Abschiedsworte seiner Mutter: "Sally, Du sollst leben". Plötzlich fühlte er "eine wunderbare Selbstsicherheit, als ob so ein Schutzengel in mich hinein kam".  Sein Vater hatte ihn beim Abschied gemahnt, nie zu vergessen, wer er sei: "Bleibe immer gläubiger Jude dann wird Gott dich beschützen." Binnen Sekunden musste Sally entscheiden, wem er folgen solle. Er lächelte den Soldaten an und sagte mit fester Stimme: "Nein, ich bin kein Jude, ich bin Volksdeutscher." So nannten die Nazis die Angehörigen der deutschen Minderheiten in Osteuropa. Wie ein Wunder erscheint es heute, dass der Soldat ihm glaubte. Sally Perel, einer der vom Nazi-Regime gehassten Juden, erhielt eine deutsche Uniform und musste fortan als Übersetzer für die Wehrmacht arbeiten. Gefangenen sowjetischen Partisanen hatte er die Todesurteile der deutschen Feldgerichte zu übersetzen. "Das war das Schlimmste für mich", sagt Sally Perel, "meinen Verbündeten, die für meine Freiheit, für mein Volk kämpften, ihr Todesurteil übersetzen". 

Zum Glück war Sally damals zu jung für den Dienst an der Waffe. Schießen musste er nicht. Ende 1941 schickte ihn die Wehrmacht auf ein Internat der Nazi-Jugendorganisation "Hitlerjugend" in Deutschland. Dort wurde Sally Perel der Hitlerjunge Josef Perjel, genannt Jupp.

Die Schülerinnen und Schüler lauschen aufmerksam. Im Raum ist es still.  Als Sally von seiner Reise ins von den Nazischergen abgeriegelte Ghetto Lodz erzählt, fließen in der Runde die ersten Tränen.
Der Holocaust-Ueberlebende Selly Perel (
Der Holocaust-Ueberlebende Selly Perel (
Der inzwischen 17jährige Hitlerjunge Sally hatte sich für die Weihnachtsferien einen Urlaubsschein ausstellen lassen, um heimlich seine Eltern zu suchen: "Ich habe gesehen die vielen Leichen die auf der Straße herumlagen. Da war es mir klar, was meinem Volk angetan wird."

 "Wie ging es ihnen als sie die Juden dort, das Leid gesehen haben?", fragt eine Schülerin zögerlich.

Das Gift beginnt zu wirken

 "Erstmal kam aus mir so ein Schrei heraus, lieber Herr Gott, ist so etwas möglich unter deinem Himmel?" Immer wieder fuhr Sally mit der Straßenbahn durchs Ghetto. Aussteigen konnte er nicht. Die Bahn war verriegelt. Im Ghetto gab es keine Haltestelle. Einmal sah er durch das Fenster inmitten des Elends seine Mutter. Sie erkannte ihn nicht.

Sally Perels Stimme stockt. In der vollen Schulaula ist kein Geräusch mehr zu hören. "Ihr könnt Euch das nicht vorstellen. Ich konnte ihr nicht helfen. In meine Hitlerjugendschule konnte ich sie ja nicht mitnehmen. Es gab ja kein Wohin. Die Welt war verseucht mit dieser braunen Gefahr." Verstört und verzweifelt irrte der junge Sally durch Lodz. 

Die permanente Hetze der Lehrer und Erzieher im Hitlerjugendinternat hatte auch den Juden Sally schon verändert. "Gift" habe man so lange in die Hirne der Jungen geträufelt, bis es wirkte und sich die Persönlichkeit der Hitlerjungen immer mehr veränderte. Vor den Toren des Ghettos in Lodz wusste Sally selbst nicht mehr genau, wer er war. "Ich schaute meine Hakenkreuzarmbinde an und fragte mich, Jupp, was hat dich hierher gebracht? Was interessieren dich die Juden im Getto? Du bist doch ein Hitlerjunge. Ich wusste nicht mehr, wer ist der Echte und wer ist der Falsche."

Zurück in Deutschland war Sally wieder der Hitlerjunge Jupp. Der war fasziniert vom Gemeinschaftserlebnis in der Nazi-Bewegung, der Kameradschaft und den vielen Möglichkeiten, die das Regime den Jugendlichen bot: "Ein junges Gehirn ist sehr empfänglich für solch ein Gedankengut des Erhobenen, des Erwählten." Noch heute kämpft Sally mit der Nazi Ideologie, die sich so tief in seinem Unterbewusstsein  festgesetzt hat: "Dieser Hitlerjunge ist ein Teil von mir, ich lebe mit ihm zusammen", beschreibt er die Langzeitwirkung der vier Jahre Hitlerjugend. "Ich schreie begeistert, es lebe der Sieg und in dieser Minute wurden in Auschwitz, Majdanek, Treblinka meine Glaubensbrüder vergast und zu Asche verbrannt."
Viele Jahre später reiste Sally Perel nach Auschwitz. "Als ich in die Baracke eintrat und die Kinderschuhe aufgestapelten waren, war ich so erschüttert. Da habe ich mir geschworen, solange mich meine Schuhe tragen werden, werde ich Sprecher dieser vergasten Kinder sein." 

Nach dem Krieg zog Sally Perel nach Israel. Dort engagiert er sich in der Friedensbewegung. Aus dem Holocaust zieht er den Schluss, dass es einen gerechten Frieden im Nahen Osten geben muss: Israel, sagt er, müsse die Siedlungen räumen und den Palästinensern Platz für ihren eigenen Staat einräumen. Wenn wir unser eigenes Land haben, steht dies auch den Palästinensern zu.

Seine Geschichte hat er erst nach vielen Jahren aufgeschrieben. Nach einem Herzinfarkt musste er beruflich kürzer treten und hatte Zeit zum Nachdenken.

Jedes Jahr reist er seitdem nach Deutschland, um in Schulen seine Geschichte zu erzählen. Die Jugendlichen lauschen. Manche weinen. Sally tröstet sie. Einige Mädchen kommen nach vorne, um ihn zu umarmen. Fast alle sind dankbar, seine Geschichte hören zu dürfen. In einer langen Schlange stehen die Jugendlichen an, um sich sein Buch oder den Film signieren zu lassen. Ein 16jähriger erzählt, dass er selbst durch die falschen Freunde in die Neonaziszene geraten sei. Ein anderer war erst skeptisch und ist nur zum Vortrag gekommen, weil es Pflicht war und dafür der Unterricht ausfiel. Jetzt möchte er auf keinen Fall mehr missen, was er hier gehört und erlebt hat.

Sally Perel blüht auf, genießt die Anteilnahme der Jugendlichen. "Die vielen Fragen, die Umarmungen, die Anerkennungsworte und die Tränen" geben ihm die Kraft weiter zu machen. Seinen Auftrag empfindet er als "fast mystische Mission im Namen der Toten". "Mir hat Gott, wenn es Gott gibt, das Leben gegeben und ich fühle die Pflicht und den Sinn meines Überlebens darin, dass ich diese Wahrheit erzähle um die Jugend zu wappnen gegen neue Gefahren aus dieser Vergangenheit. ..."
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