Brighton: Das pralle Leben unter der Regenbogenfahne

Die heimliche Hauptstadt der Schwulen, Lesben und Kreativen
"Hier arbeiten ist wie ein Traum" schwärmt Hotelmanager Ben Davie und rauscht davon. Ein Kunde braucht Hilfe. In einem glitzerblauen Kleid stöckelt ein hell blondierter Gast die Treppe herunter. "Wo muss ich hin?" Letzte Absprachen für den Auftritt des Transvestiten bei der AIDS Memorial Benefiz Party im Charles Club gleich nebenan. Ben weist den Weg, muss noch schnell ins Büro und erzählt weiter: "Mit 17 bin ich von zuhause weg, um hier herzuziehen." Inzwischen hat er fast sein halbes Leben in Brighton verbracht und will "nie mehr weg". Manager steht auf Bens Visitenkarte  unter dem Namen des Hotels: "Amsterdam". Daneben leuchtet das Regenbogenlogo. 

"Wir sind ein "gay run business"", ein "von Schwulen und Lesben geführtes" Hotel. "Die Hälfte unserer Gäste sind Homosexuelle". Ganz normal, im Brightoner Stadtteil Kemptown, wo an bestimmt jeder dritten Kneipe die gestreifte Regenbogenfahne der Schwulen und Lesben weht. "Hier kann ich mit meinem Partner Händchen haltend durch die Stadt gehen", freut sich der eher stille, nachdenkliche Ben. "Höchstens Touristen schauen uns deshalb manchmal irritiert an."

Vorne in der Bar sitzen ein paar Männer, jeder alleine an einem der schlichten, hellen Holztische. Sie scheinen zu warten. Muskulöse Körper, enge Jeans und ganz eng anliegende T-Shirts. Sie mustern jeden der den kühl gestylten Raum betritt. Der junge Barkeeper bringt schweigend die Drinks. Aus dem riesigen Flachbildschirmfernseher unter der Decke füllt "Loosing my Religion" von REM klangmächtig den Raum. Draußen vor den wandgroßen Fenstern scheint der Brighton Pier, Europas größte Seebrücke, im Stahlgrau des Meeres zu verschwimmen. An der Strandpromenade und auf dem Pier gehen die Lichter an. 

Nebenan im Charles Club singt der Transvestit von den "Sahneschnittchen", die er am Strand in Mexiko bewundern durfte und von der Vergänglichkeit des eigenen Körpers. Eine Mischung aus Selbstironie und Melancholie, gemischt mit Zoten, Erinnerungen und bekannten Schlagern. Das Publikum, junge Leute, viele Schwule und Lesben mit ihrem Freund oder Freundin im Arm, klatscht begeistert, singt manchmal mit und unterhält sich blendend. Ein Fan bringt dem Künstler auf der Bühne eine rote Rose. Ein bisschen Kitsch, immer mit einem Augenzwinkern. Junge Männer gehen mit silbernen Sektkübeln durch die Reihen. Sie sammeln für ein Denkmal, das die schwule Gemeinde Brightons für die Opfer der AIDS-Seuche aufstellen will. An die 1000 Pfund sind es nach drei Stunden.

Wie Ben lobt Mark die Toleranz, die Weltoffenheit und den Gemeinschaftsgeist seiner Wahlheimat. Mark stammt aus Reading, einer konservativen Kleinstadt westlich von London, reich und langweilig. Jetzt betreibt er das Nineteen, ein kleines Boutiquehotel im Brightoner Schwulenviertel Kemptown, in einer Seitenstraße nur ein paar Schritte vom Meer, vom Pier und von Bens Hotel Amsterdam entfernt. 
"London by the Sea", London am Meer nennt sich das Seebad, in dem sich seit Jahrhunderten die Reichen und Schönen der nahen Hauptstadt vergnügen. Der exzentrische Kronprinz und spätere König George IV hat der Lebensfreude und der Verschwendungssucht mitten in Brighton Anfang des 19. Jahrhunderts ein Denkmal gesetzt: Den Royal Pavilion, einen verschnörkelten Palast mit Türmchen, Kuppeln und Ornamenten, ein krudes Stilpuzzle irgendwo zwischen Taj Mahal und Märchen aus 1001 Nacht. Schnell als eitler Schönling und Prasser verschrien, feierte der junge König hier auf der Flucht vor der Sittenstrenge des Hofes seine Partys, gab sich seinen zahlreichen Liebschaften hin und sammelte Kunst. Auf seine Figur und schöne Kleidung legte er Wert. Als George IV 1830 starb, hinterließ er allein bei seinem Schneider rund 32.000 Pfund Schulden. "Das entspricht heute etwa zwei Millionen Euro", heißt es dazu auf der Internetseite des Royal Pavilion.

Heute kommen die Londoner aller Gesellschaftsschichten vor allem zum Entspannen und zum Feiern nach Brighton. Mehr als 365 Kneipen gibt es angeblich in der Stadt, mehr als eine für jeden Tag des Jahres. Im 112 zum Beispiel, drüben im Künstler- und Szeneviertel North Lanes mit seinen kleinen Boutiquen, Galerien und ausgefallenen Läden, singt eine Kabarettistin zur Chansonmusik aus dem Laptop. "Na, habt Ihr auch eine Affaire", quatscht sie drei aufgetakelte Nachtschwärmerinnen jenseits der 40 an, die nicht mehr ganz nüchtern hereinspazieren. "Noch nicht, aber vielleicht gleich", antwortet eine von ihnen trocken. "Wie wär's mit mir", steigt einer der Männer an der Theke ein. Ein abgekartetes Spiel zur Belustigung der Gäste? Das Leben ist eine Show und die Show ist das Leben.

"Brighton ist kreativ, stylish, schick und trendy", freut sich Mark in seinem Hotel Nineteen, dessen blütenweiße Zimmer er mit gewagter moderner Kunst dekoriert hat. "Ich hoffe, Du fühlst Dich davon nicht in Deinen Gefühlen verletzt", sagt er ganz politisch korrekt, als er die Zimmer zeigt. "Gay", also schwul oder lesbisch, darf er sein Hotel nicht nennen. Das würde gegen das britische Antidiskriminierungsgesetz verstoßen.

In einer der Spielhallen draußen auf der Seebrücke ballern im ohrenbetäubenden Gedudel der Spielautomaten zwei Junge Männer wie hypnotisiert auf deutsche Stuka-Bomber, die auf dem Bildschirm über London fliegen. "Parlamentsgebäude gerettet, Spiel zu Ende" leuchtet eine rote Schrift auf dem Monitor. Die beiden gehen zum nächsten Automaten. Auf dem fast einen Kilometer langen Pier drehen eine Achterbahn und Karussells ihre Runden, junge Leute werfen Bälle auf Blechdosentürme oder schießen auf Plastikstifte, um einen der quietschbunten Plüschbärchen zu gewinnen. Familien mit Zuckerwatte mampfenden Kindern schlendern über die Holzbalken. "Das sind doch alles Gerry Glitters, widerlich" schimpft eine Mutter über die Schwulen drüben in Kemptown. "Solange sie mir von der Naht bleiben, stören sie mich nicht", gibt sich ihr Mann tolerant. Und der Sohn, vielleicht acht, hält sie alle für "Idioten". 

"Wer ständig das Gefühl hat, das Leben schulde ihm etwas, beneidet glückliche Menschen", sagt Ben Davie, der Hotelmanager und Philosoph. Dabei seien wir doch auf der Welt, "um eine schöne Zeit zu genießen. Lang ist sie nicht."



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