Fremd in der Heimat, heimisch in der Fremde

Die Heimattage Baden-Württemberg 2014 in Waiblingen bilden einen willkommenen Anlass, sich näher mit dem Thema „Heimat“ zu befassen.
Fremd in der Heimat, heimisch in der Fremde

Die „Heimat“ soll dem Menschen Geborgenheit und Vertrautheit liefern. Ein schwieriges Unterfangen – schließlich ist nicht nur die Welt im Wandel, sondern auch der Begriff „Heimat“ wird heute anders als früher diskutiert. Die Heimattage Baden-Württemberg 2014 in Waiblingen bilden einen willkommenen Anlass, sich näher mit dem Thema „Heimat“ zu befassen.

„My home is my castle“ – diesen Spruch kennt jeder. Auf Ungarisch heißt Heimat „szülőföld“ („Elternerde“). Doch in der heutigen Zeit ist das „traute Heim“ mehr denn je gefährdet. Immer mehr Menschen fühlen sich „entwurzelt“ oder ihrer Heimat „beraubt“. Gefühle von Fremdheit überkommen die Menschen mittlerweile sogar an dem Ort, an dem sie geboren sind. In der anonymen Großstadt „verloren“ wirken auch viele junge Menschen – an diesem Zustand ändert weder ein Top-Verdienst noch ein aktuelles Smartphone irgendetwas. Die Flucht in virtuelle Rollenspiele, in denen ich mir meine eigene „heile Welt“ erschaffen kann, entpuppt sich in Wahrheit als autistischer Hilferuf einer jungen Generation nach mehr „spiritueller Heimat“.

Verlust von Heimat und Natur
Auch die ältere Generation versteht die Welt nicht mehr – die Heimat aus ihrer Kindheit erkennen sie heute kaum wieder – wo sie früher noch barfuß über bunte Blumenwiesen rannten oder kleine Steindämme am Bachufer bauten, ragen inzwischen riesige Industrieanlagen oder graue Betonwüsten in den Himmel. „Ungefragt dringen wildfremde Investoren in unsere schöne Heimat ein und drehen dort jeden Stein um“, empört sich die alte Generation. Anders ausgedrückt: den „Alten“ von heute geht es wie einst den indianischen Stämmen zu Goldgräber-Zeiten – die „ewigen Jagdgründe“ des stolzen Indianer-Häuptlings wurden durch die Geld- bzw. Goldgier des (weißen) Menschen dem „Erdboden gleich gemacht“.

Den schmerzhaften Verlust der Heimat bzw. der Natur brachten vor 30 Jahren auch die Musiker von „Gänsehaut“ in dem Protestsong „Karl der Käfer“ auf den Punkt. „Ein Band aus Asphalt breitet sich aus, fordert die Natur zum Rückzug auf – eine Blume, die noch am Wegesrand steht, wird einfach zugeteert“, lautet eine prägnante Textzeile. Da ist es nur ein schwacher Trost, wenn in der Betriebskantine des lokalen Industrieriesen auf der „grünen Wiese“ die schwäbische Woche mit Traditionsgerichten wie Maultaschen, Schupfnudeln oder Spätzle ansteht.

Fremd am Arbeitsplatz
Auch in der modernen Arbeitswelt finden viele Menschen häufig nur noch eine kurzfristige „berufliche Heimat“. Großraumbüros verwandeln sich zur „Heimstätte“ von seelenlosen Finanzhaien und Zahlenmenschen. Viele Arbeitsverträge sind befristet und der Leistungsdruck durch Wachstumszwang sowie weltweiten Konkurrenzkampf enorm – als Folge können vor allem junge Menschen, die im Arbeitsprozess stehen, kaum „sesshaft“ werden. Als „schiffbrüchige Arbeitsnomaden“ ziehen sie „ziellos“ umher – stets auf der Suche nach einer Arbeitsstelle, bei der sie das Gefühl haben, endlich „angekommen“ zu sein.

Aber erst wenn dieser „Traumjob“ mit langfristiger Perspektive gefunden ist, darf der Mitarbeiter „schüchtern“ das Foto mit Frau und Kindern auf seinen Schreibtisch stellen, um eine „heimelige“ Büroatmosphäre herzustellen. Doch das heimatliche Idyll trügt oft: genauso brüchig wie Erwerbsbiographien im 21. Jahrhundert stellt sich heutzutage auch die „Familienbande“ dar. Schließlich ist nichts für die Ewigkeit – das gilt für die beiden Aspekte „Familie“ und „Heimat“ gleichermaßen. Geopolitische Konflikte in der Welt oder Flüchtlingsströme aus Afrika in Richtung Europa zeigen die Menschen in Aufruhr.

Heimat verlassen oder um die Heimat „kämpfen“
Während einige Gruppierungen in der Ukraine ihre „Heimat“, ihren Glauben bzw. ihre eigenen Werte oder Moralvorstellungen verteidigen möchten bzw. sich die „gute alte Sowjetzeit“ zurückwünschen, verlassen in Afrika viele Familien ihre krisengeschüttelten Heimatländer in Richtung Europa. Sie erhoffen sich in Europa bessere Perspektiven und vor allem Frieden. Der Preis, den viele Afrikaner dafür zahlen, ist hoch: neben den Gefahren auf der Flucht – dabei wird z.B. die Familie oft auseinander gerissen – droht ein nervenaufreibendes Verfahren um eine Aufenthaltsgenehmigung inklusive ungewisser Jobsuche.

Doch auch wer unter ihnen letzten Endes einen Job bekommt, wird im „fremden“ Europa nicht immer glücklich und wird oft von Heimweh geplagt. Hinzu kommt, dass trotz vermeintlichem Wohlstand nicht einmal die Europäer – ganz gleich ob Franzosen oder Deutsche – überschäumende Lebensfreude zeigen. Wer ständig Angst um seinen Arbeitsplatz haben muss oder von einer 50-Stunden-Woche permanent ausgelaugt wirkt, bekommt von den Problemen anderer nichts mit. Während Menschen mit Migrationshintergrund sich laut unseren „Vorzeigepolitikern“ schnell integrieren und an unsere (Geld-)Wertesysteme anpassen sollen, ist der Deutsche aufgrund der grassierenden sozialen Kälte in seinem eigenen Land „innerlich emigriert“. Einst wurden die Franzosen um ihr „savoir vivre“ beneidet. Doch in der schnelllebigen Zeit und bei endlosen Debatten um Haushaltspläne sowie die Streichung von Sozialleistungen vergeht selbst dem Gourmet im „Genießerland“ der Appetit.
Die „gute alte Zeit“ festhalten
Die Zahl der Europaskeptiker wächst. Diese bezweifeln, dass Europa zur neuen „Heimat“ für alle Mitgliedsstaaten werden kann. Gleichzeitig wird befürchtet, dass das alte Brauchtum und Jahrhunderte alte Traditionen in den einzelnen Ländern immer mehr verloren gehen. Diese Verlustangst drückt sich vor allem in der zum Teil verklärten Romantik bzw. massiven Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ aus. So wünscht sich vor allem die ältere Generation die Zeit zurück, in der a) die Welt überschaubar war, b) der Dialekt gesprochen und auch verstanden wurde und c) die Kirche noch „im Dorf gelassen wurde“. Während die Dorfkirche die „religiöse Heimat“ der Menschen bildete, stellte das Dorfgasthaus einst das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Zentrum einer Gemeinde dar.

Doch inzwischen wurden viele Dorfgasthäuser geschlossen. „Zu unrentabel“, heißt es öfters. An ihre Stelle sind zwischen Nordsee und Berchtesgaden sterile Systemgastronomie-Ketten getreten, die kaum eine „heimelige“ Atmosphäre erzeugen, dafür ihren Betreibern umso mehr Profit einspielen. Verschwunden sind im elektronischen Zeitalter weitestgehend auch die „nostalgischen“ Tante-Emma-Läden oder traditionelle Berufsbilder wie Bürstenbinder oder Scherenschleifer.

Doppelter Heimatverlust
Die ältere Generation verliert in der Globalisierung bereits zum zweiten Mal die „Heimat“. Millionen von Vertriebenen haben bereits im Zweiten Weltkrieg ihre „erste“ Heimat verloren – auf der Flucht mussten sie Haus, Hof, Verwandte und Freunde zurücklassen. Der physische wie auch psychische Schmerz durch den Heimatverlust hat sich durch das komplette Leben dieser Kriegsgeneration und deren Familien gezogen. Auch wenn es einigen unter ihnen gelungen ist, in der „neuen Heimat“ im Nachkriegsdeutschland „heimisch“ zu werden und sich dort ein neues Leben mit Eigenheim, Schrebergarten und Kleinwagen aufzubauen: die Heimatlieder ihrer Eltern und Großeltern sind im (Unter-)Bewusstsein fest verankert. Dies manifestiert sich in einer großen Anzahl an Initiativen, Magazinen und Verbänden, die sich mit der „alten Heimat beschäftigen. Da gibt es unter anderem den „Bund der Heimatvertriebenen e.V. “ oder den „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“.

Auch städtische Kultur- und Heimatverbände versuchen Heimatbräuche sowie kulturhistorische Schätze (z.B. mittelalterliche Kirchen oder Kleindenkmale) zu erhalten. Auch lokale Produkte wie z.B. das Schwäbisch-Hällische Landschwein erfahren unter dem Motto „Aus der Region für die Region“ eine neue Wertschätzung. Naturschutzgruppen setzen sich zudem dafür ein, die „heimische“ Flora und Fauna für die Nachwelt zu erhalten. Die „reflexartige“ Gegenbewegung zum Fortschrittsglauben wächst im 21. Jahrhundert weiter – „boomende“ Mittelaltermärkte oder modernen Heimatfilme sind dafür ein gutes Beispiel. Jedoch: mit dem Begriff „Heimat im Herzen“ verbinden manche Personengruppen auch einen riskanten „Nationalstolz“ – dieser zeigt sich z.B. in den Textzeilen bestimmter Rocksongs. Dort wird das Heimatland bzw. die arische Rasse auf fragwürdige Art und Weise glorifiziert.

Überall heimisch
Die „alte“ Heimat bzw. die „gute alte Zeit“ lässt viele Menschen nicht los – schließlich fanden im Geburtsort die ersten Sozialisationserlebnisse statt, die sowohl die Identität, den Charakter und die Mentalität eines Menschen prägen können. Während die Älteren sich an die Vergangenheit „klammern“, sucht die junge Generation nach innerem Halt. Doch inzwischen hat die junge Generation erkennen müssen, dass der Medien- und Drogenkonsum sowie der Geldgötze auf Dauer weder eine „seelische Heimat“ noch ein „spirituelles Zuhause“ bieten. Eine tiefe Verwurzelung erreicht nur derjenige, der in sich ruht und dabei seine eigene Spiritualität entdeckt. Dieses Wissen hilft, sich an jedem Ort „heimisch“, vertraut sowie geborgen zu fühlen – dann wird auch unsere Seele mit dieser Form des „Nomadentums“ bzw. „Vagabunden-Daseins“ keine Probleme haben.

Schließlich repräsentiert für den weltoffenen Menschen im 21. Jahrhundert die Heimat den Ort, wo die Freunde sind – das kann und darf sogar überall sein. Viele Menschen schleppen ihre Probleme jedoch wie einen „seelischen“ Rucksack überall mit sich herum – doch wer eins mit sich, dem Universum und der Umwelt ist, besitzt gute Chancen, das Fremdheitsgefühl zu überwinden. Nach dem Ying-und-Yang-Prinzip gibt es zwei Seiten der „Medaille“ – ich selbst halte den Schlüssel in der Hand und kann mich entscheiden, ob ich mich überall fremd oder heimisch fühlen will. Als Schlusswort hilft hier der leicht abgewandelte Werbespruch einer bayerischen Bierbrauerei: in der Region daheim – in der Welt zu Hause!

Text und Fotos: Andreas Scholz

Heimattage Baden-Württemberg 2014 in Waiblingen
Unter dem Motto „Zwischen alten Mauern und neuen Wegen“ gibt es zwischen Mai und September im Remstal zahlreiche Themenwochenenden und Veranstaltungen rund um den Begriff „Heimat“. Im Land der Spätzle, Maultaschen und Weinstuben kommt der kulinarische Genuss während der Heimattage nicht zu kurz. Einen Überblick über den Veranstaltungskalender der Heimattage Baden-Württemberg 2014 gibt es im Internet unter www.heimattage-waiblingen.de

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